Das Aktmodell
ganz recht hat. Ich bin wirklich verrückt.
Ich hole tief Luft, und dann lasse ich das Tuch fallen.
Zwischen dem Boulevard des Capucines und der Rue Auber, nahe dem Place de l’Opéra, ging Paul so schnell, dass selbst die eiligsten Fußgänger innehielten, um ihm mit wortlosen Gesten ihren Unmut kundzutun.
Merde.
Er wurde verfolgt, und das gefiel ihm gar nicht.
Dieses unangenehme Gefühl war so präsent in seinem Kopf, dass er sogar zu spät ins
L’Atelier Gromain
kam. Zu spät, um Autumn zu sehen, und das machte ihn wütend. Sehr wütend.
Dieser Mann in dem langen Tweedmantel und der Melone, der so tut, als ob er die Zeitung liest, wenn ich kurz anhalte, wer kann das sein? Wieso verfolgt er mich?
Als Paul an den Terrassen des
Café de la Paix
vorbeihastete, der Saum seines langen Mantels nass von den Regenpfützen auf der Straße, hörte er, wie jemand seinen Namen rief.
“Monsieur Borquet,
attendez-vous.
Wartet!”
Er wirbelte herum, erstaunt über die Worte des Mannes.
Er kennt meinen Namen?
Wie kann das sein?
Er wollte nicht anhalten. Nicht wenn er noch einen so weiten Weg auf der Rue de la Chaussée vor sich hatte, vorbei an der Rue Blanche und dann quer hinüber zur Rue Fontaine. Eine Kälte breitete sich in seinem Magen aus und fror seinen freien Willen ein. Die Dringlichkeit in der Stimme des Fremden weckte seine Neugierde – oder war es einfach nur das unbestimmte Gefühl, dass dieser Mann etwas mit dem Engländer zu tun hatte?
Was auch immer der Grund war, jedenfalls verlangsamte Paul schließlich doch seinen Schritt, schaute durch das Fenster des berühmten Cafés und verrenkte sich dabei fast den Hals. Blumenverkäufer, ein einsamer Akkordeonspieler. Der Kellner versperrte ihm mit einem Tablett kandierter Früchte die Sicht. Wo war der Mann mit der Melone abgeblieben?
Er sah Gäste in modischen Übermänteln oder auch in luxuriösen, mit Zobel gefütterten Capes im Eingangsbereich stehen. Sowohl drinnen als auch draußen waren alle Tische besetzt. Um die Gäste an einem kühlen Regentag zu wärmen, hatten Feuerstellen mit brennender Kohle den Platz der Zwergenbäume auf der Terrasse eingenommen. Mit all den Hüten und opulenten Kopfbedeckungen der Damen, die ihm die Sicht versperrten, konnte er den Mann nicht sehen, der seinen Namen gerufen hatte.
Wo war er?, fragte sich der Maler schwer atmend. Er war eindeutig zu schnell gelaufen. Sein Herz schlug schneller, und allein der Gedanke daran, Autumn zu sehen, ließ den Platz in seiner Hose zu eng werden. Er hatte keine Zeit für Spielchen. Sie wartete auf ihn. Der Druck, etwas Kreatives zu schaffen, hatte seinen Höhepunkt erreicht, ein chaotischer Sturm von Hyperaktivität.
Ihr wunderschöner Körper, völlig nackt bis auf den Glanz ihres Schweißes, wurde in diesem Künstleratelier zur Schau gestellt. Er musste unbedingt dorthin und sie beschützen,
merde
… wem machte er etwas vor? Er wollte sein Geschlecht in ihr versenken.
Seine Kreativität wurde von ihr angefeuert, wenn er sie sah, sie berührte, sie fickte. Trotzdem schien sie sich mit ihrer Schönheit nicht ganz wohlzufühlen, als ob sie ein Fluch wäre, etwas, das er nicht verstand.
Was ihn allerdings noch mehr erstaunte, war die Tatsache, dass es für sie wichtig war, als intelligentes Wesen geliebt zu werden. Das beeindruckte ihn. Sie zu kennen schürte seine Sehnsucht nach der Unendlichkeit seiner eigenen Jugend. War so etwas möglich? Nein. Nach den Worten der Comtesse würde die Schwarze Magie ihre Wirkung verlieren, wenn er sich in die Rothaarige verliebte. Was dann? War sexuelle Leidenschaft genug, um die Sehnsucht in seiner Seele zu stillen?
Sekunden vergingen, die Regentropfen fielen schneller und fühlten sich auf seiner Nase wie kleine Stiche an. Er schüttelte die Arme und stampfte mit den Füßen auf. Wenn er sich nicht bewegte, wäre er bald zu nass, um weiterzugehen. Fluchend machte er sich wieder auf den Weg und versuchte den Mann mit dem Hut zu vergessen. Autumn wartete auf ihn.
Der Regen hatten eine beruhigende Wirkung auf ihn, auch wenn der schneidende Wind ihm die Tropfen ins Gesicht wehte, als er weitereilte. Er spürte weder die kalte Luft noch den Regen, der auf sein Gesicht und auf seine nackten Hände prasselte. Er fühlte auch kaum mehr die Pflastersteine unter seinen Füßen oder hörte das Klappern der Pferdehufe. Inzwischen war er im Bienenstock der Künstlerateliers angekommen, einstöckige Gebäude, die die Allee wie hohe Scheunen zu beiden
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