Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
dem Riesen zu, der auf seinem Stuhl zusammengesackt war.
Hilflos blickte er Fritz Helmreich an, der ihm aufmunternd zunickte. Doch erst als er einen heftigen Schlag vom Ellenbogen seiner Freundin in die Seite bekam, begann er zu erzählen.
»Es ist so«, er räusperte sich, »wir haben Edwin Rast am Pegelpfeiler in Kemmern festgebunden.«
»Aha, und wer ist wir?«, hakte Lagerfeld sofort nach.
»Das ist ja das Problem«, platzte es aus Doris Peter heraus. »Das wissen wir nicht.«
Haderleins Geduld ging langsam, aber sicher zur Neige. Es war ein langer Tag mit vielen Autokilometern und zwei neuen Leichen gewesen, mit denen nicht wirklich zu rechnen gewesen war. Sein Chef war nervlich derangiert, und draußen wartete die Reportermeute, um ihn und die restliche Bamberger Polizei zu schlachten. Und dann musste er sich auch noch so einen Schmarrn als Geständnis anhören. Seine Nerven lagen blank.
»Jetzt hört mal zu, ihr drei«, begann er leise, aber bestimmt, »ich habe wahrlich keine Lust, dass man mir einen solchen Mist auftischt. Entweder ihr rückt jetzt mit der Wahrheit heraus, oder ich werde euch höchstpersönlich an einen schönen, kalten Pegelpfeiler im Main festbinden, und zwar so lange, bis ihr sprecht.«
»Und ich werde meinem Chef mit Freuden dabei helfen«, ergänzte Lagerfeld mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme.
»Das ist aber wahr!«, brauste Joe Scheidmantel auf. »Wir haben uns sonst immer im Internet verabredet. Der Abend war das erste Mal, dass wir uns persönlich getroffen haben. Ich habe keine Ahnung, wer die anderen beiden waren. Die haben uns ja nicht mal ihre Namen gesagt. Wozu auch. Doris und ich haben das Boot mitgebracht, und die anderen hatten Rast schon in ihrem Pick-up liegen. Wir sind nur noch mit dem Boot und Rast zum Pegelpfeiler gefahren und haben ihn so festgebunden, dass er in der Früh von halb Kemmern gesehen worden wäre.«
Doris Peter hatte die ganze Zeit über heftig genickt und fügte jetzt hinzu: »Wir waren schon fast weg, als uns auffiel, dass wir vergessen hatten, ihm den Mund zu verkleben. Sonst hätte er uns ja ganz Kemmern zusammengeschrien.«
»Also mussten wir noch mal zurück und haben ihm sein blödes Maul zugepappt!«, rief Joe Scheidmantel erregt. »Er war nämlich schon am Aufwachen.«
Lagerfeld sprang auf. »Das ist ja wohl die bescheuertste Geschichte, die ich jemals gehört habe!« Wütend und entnervt trat er gegen die betonierte Wand des Verhörzimmers. Auch an ihm waren die Strapazen des Tages nicht spurlos vorübergegangen. »Selbst der blödeste Zuhälter, den ich verhört habe, hat mir intelligentere Storys erzählt als du, Scheidmantel!«
Haderlein musterte Fritz Helmreich von der Seite, der während des bisherigen Verhörs seinen Kopf in den Händen vergraben hatte.
»Was meinen Sie eigentlich dazu, Herr Helmreich?«, fragte ihn Haderlein spöttelnd. »Würden Sie Joe solch eine wirre Geschichte abkaufen?«
Helmreich schaute ihn aus traurigen Augen an. »Ehrlich gesagt, Herr Hauptkommissar, ich weiß genauso wenig wie Sie, was ich glauben soll. Ich hab die ganze Geschichte heute auch zum ersten Mal gehört.« Er schüttelte den Kopf.
»Ihr wollt uns also ernsthaft erzählen, dass ihr euch in einem Chatroom mit wildfremden Leuten getroffen habt, um Edwin Rast an einen Pfeiler zu binden? Wer kommt denn auf so eine absurde Idee?«, meinte Haderlein eigentlich mehr rhetorisch zu sich selbst als zu seinen Gegenübern. Doch überraschend bekam er eine Antwort.
»Glühwurm«, kam es von Scheidmantel und seiner Freundin gleichzeitig und wie aus der Pistole geschossen.
»Und wer zum Teufel ist dieser Glühwurm?«, wollte jetzt Lagerfeld wissen.
»Irgendwann im Juli hab ich eine E-Mail von jemandem namens glühwurm@…irgendwas gekriegt, genau weiß ich die Adresse nicht mehr«, erklärte Scheidmantel.
»Und was wollte dieser anonyme Verfasser?«, fragte Lagerfeld.
»Ganz einfach«, sagte Joe. »Er schrieb, wenn ich auch Lust hätte, dem lieben Herrn Rast endlich mal eine Lektion zu erteilen, sollte ich mich auf der Internetseite www.rast-los.com einwählen, dort würde dann alles Weitere besprochen werden.«
Lagerfeld musste lachen. »Rast-los? Ich muss zugeben, das ist originell.«
»Ja, und weiter?« Haderlein beugte sich nach vorne. Langsam begann er der Sache Aufmerksamkeit zu schenken.
Scheidmantel spürte, dass man ihm zu glauben begann. Erleichtert fuhr er fort. »Wir haben einen Monat lang auf rast-los.com
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