Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
Genaugenommen sollte ich ja überhaupt
nicht sprechen. Und so habe ich in letzter Zeit angefangen, mich zu fragen, ob
ich eigentlich für ein Leben in Abgeschiedenheit geschaffen bin. Sei’s drum,
ich höre nicht auf, danach zu streben. Wie Sie wissen, hat der heilige Simeon
siebenunddreißig Jahre auf einer Säule verbracht. Hinterher behauptete er, es
wären die besten Jahre seines Lebens gewesen. Unglaublich, finden Sie nicht?
Absolut unglaublich!«
    »Mister Love«, sagte Moon behutsam, »ich muss
Ihnen einige ganz bestimmte Fragen stellen. Sie erwähnten, dass man Sie
›ausgeschlossen‹ hat. Dürfen wir annehmen, dass sich das auf die Organisation
Love,
Love, Love und Love
bezog?«
    Der Alte antwortete nicht gleich, sondern nahm
erst einen geräuschvollen Schluck aus der Flasche. »Also wissen Sie von dem
Unternehmen? Meine Güte, waren Sie aber fleißig! Was wissen Sie noch? Oder
sollte ich besser sagen …« Er wischte sich mit dem schmierigen Ärmel
seiner Jacke den Mund ab. »Was
glauben
Sie zu wissen?«
    »Also ich weiß, dass die Stadt in unmittelbarer
Gefahr ist – und zwar durch eine Verschwörung, die von
Love
mit
dem geheimen Einverständnis einer religiösen Gruppierung namens Kirche des
Sommerkönigreichs gelenkt wird. Und ich weiß auch, dass dieselbe Organisation
für den Tod Cyril Honeymans und Philip Dunbars verantwortlich ist, für das
Verschwinden der Mütter dieser beiden Männer, für die Tötung von Barabbas in
Newgate und für den Mordversuch an den Spitzen des Direktoriums. Ich weiß, dass
diese Leute durch und durch skrupellos sind und vor nichts haltmachen, um ihre
Ziele zu erreichen. Das einzige, wovon ich nichts weiß, ist die Beschaffenheit
ihrer Pläne.«
    »Oder vom Warum«, hauchte Love. »Davon wissen Sie
auch nichts.«
    »Dann streiten Sie es gar nicht ab?«
    »Was soll ich abstreiten?«
    »Dass das Unternehmen, das Ihren Namen trägt,
hinter all dem Blutvergießen steckt.«
    »Ich hatte gehofft und gebetet, sie würden nicht
so weit absinken«, seufzte Love. »Sie müssen mir glauben, wenn ich Ihnen sage,
dass das Unternehmen in seiner gegenwärtigen Form die ursprüngliche Zielsetzung
aufs schändlichste entstellt.« Er hielt inne, um tief Atem zu holen. »Sie haben
ohne Zweifel bereits erraten, dass ich der Gründer von
Love, Love, Love und
Love
bin.«
    »Ja, das hatten wir bereits angenommen.«
    »Dann werden Sie auch wissen, dass die
Organisation im Einklang mit den Vorgaben gegründet wurde, die Samuel Coleridge
in seinem Testament festgelegt hatte. Um Ihnen seine Motive für einen so
sonderbaren Wunsch begreiflich zu machen, sollte ich mit meinen Erklärungen
vielleicht weiter ausholen.«
    »Ich bitte Sie darum. Und seien Sie so
gewissenhaft und genau wie nur irgend möglich.«
    Der alte Mann nahm wieder einen großen Schluck aus
der Flasche. »Sie haben natürlich ganz recht, ich kannte den Dichter, als ich
ein Kind war. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er bei einem freundlichen
Arzt – einem gewissen Doktor Gillman in Highgate. Seine Tochter wohnt
immer noch dort. Hübsches Mädchen. Könnte Ihnen wahrscheinlich viel mehr über
diese Zeit erzählen als ich. Mein Gedächtnis lässt schon ein wenig nach.«
    »Sie war es, die uns von Ihnen berichtet hat.«
    Aber Love schien das nicht gehört zu haben. »Als
ich Coleridge kennenlernte, war ich etwa acht oder neun. Kam aus einer
einfachen Familie und war in meiner Jugend ein rechter Wirrkopf – war
nicht weit her mit dem Lernen. Hatte von früh auf eher ein Auge aufs
Geldverdienen. Die Gillmans stellten mich des öfteren als Laufburschen ein und
für Gelegenheitsarbeiten, Handreichungen im Haus, Dinge in der Art.« Wieder ein
Schlückchen. »Ich hatte schon einen Monat dort gearbeitet, als ich den Dichter
zum erstenmal sah. Er wohnte oben im Dachstübchen und blieb zumeist in seinem
Bett. Sie müssen bedenken, dass er zu diesem Zeitpunkt schon stark opiumsüchtig
war. Gillman versuchte zwar alles in seiner Macht Stehende, um dieses
krankhafte Verlangen zu dämpfen, aber soweit ich es feststellen konnte, hatte
es keinen Zweck. Der alte Mann war bereits hoffnungslos in den Fängen des
Gifts. Und gerade diese Sucht war es, die mich zum ersten Mal zu ihm führte.
Ich hatte irgendeinen kleineren Auftrag für die Frau des Doktors erledigt, als
Coleridge mich nach oben rief. Er hätte einen Botengang für mich, sagte er, und
würde mich großzügig entlohnen. Er trug mir auf, rasch zum Laden zu laufen und
etwas zu

Weitere Kostenlose Bücher