Das Albtraumreich des Edward Moon
dass ihm der Name bekannt war. »Ned Love.«
»Aha.« Die Auskunft schien Cribb zu gefallen.
»Aha?«, wiederholte Moon aufgebracht. »Was meinen
Sie mit ›
aha
‹? Kennen Sie ihn?«
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie nahe dran
sind. Sehr nahe. Das ist alles.«
»Aber können Sie ihn finden? Er müsste schon ein
alter Mann sein.«
»Wenn er sich irgendwo in der Stadt befindet, dann
ja, dann können Sie auf mich zählen. Sobald ich ihn gefunden habe, lasse ich es
Sie wissen.«
»Ausgezeichnet.«
»Also dann.« Der hässliche Mann erhob sich und
wandte sich zum Gehen.
»Cribb?«
Er drehte sich um.
»Bitte sagen Sie mir, wie es endet.«
»Tut mir leid.« Cribb lächelte. »Sie haben keine
Ahnung, wie kompliziert es ist, ich zu sein.« Er berührte die Krempe seines
Hutes und verließ das Kaffeehaus.
Moon beglich die Rechnung und wanderte heimwärts,
voller Sorge und nach einer Lösung fiebernd. Dieser Fall, so einzigartig er
auch war, hing schon zu lange über ihm. Höchste Zeit, ihn zu Ende zu bringen.
E,
Ich entschuldige mich schon jetzt,
wenn dieser Brief kürzer wird als die letzten. Love 893 wurde aus meinem Zimmer
verlegt und durch eine andere Frau ersetzt, weit älter als 893 und eine
langjährige Mitarbeiterin der Gemeinde. Love 101 ist ein scharfgesichtiges
altes Weib, das mich vom ersten Augenblick an nicht leiden konnte und
anscheinend beschlossen hat, mehr Wärterin als Stubenkameradin für mich zu
sein. Weshalb 893 so blitzartig aus dem Zimmer entfernt wurde, weiß ich nicht
sicher, aber natürlich habe ich so meine Vermutungen.
Ich werde ohne Unterlass beobachtet,
und es ist mir nicht mehr gestattet, den gemeinschaftlichen Abendgebeten
fernzubleiben. Immer mehr fühle ich mich hier als Gefangene – eine, die
bei den anderen Häftlingen weder wohlgelitten noch geachtet ist. Selbstredend
finde ich auch keinen geruhsamen Schlaf – meine Nächte sind kaum
entspannend, und ich habe Alpträume.
Morgen bin ich vor den Präsidenten
bestellt. Er ist ein wahrer Halbgott für diese Leute – ein kleiner König
in ihrem kleinen Königreich; sein Name wird von den Gläubigen nur mit absurder
Ehrfurcht und halb hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen.
Er ist Love 1, die Nummer Eins der
Organisation, der Ur-Love. Wie mir scheint, ist »1000« die festgelegte Zahl für
den Umfang der Gemeinde, eine Quote, die offenbar nicht überschritten werden
soll. Diese Zahl ist schon fast erreicht, und ich glaube, sobald Love 1000
gefunden ist, wird das verwirklicht, was diese Leute die ganze Zeit über
planen.
Nicht um alles in der Welt kann ich
herausfinden, wie ernst es ihnen ist. Manchmal bin ich überzeugt, dass sie, mit
all ihren Gedichten und Gebeten, harmlose Eiferer sind, die mit Wonne
Verschwörungen aushecken und Ränke schmieden, deren Ausführung sich jedoch auf
ihre überreizten Hirne beschränkt. Doch in zunehmendem Maße habe ich das
Gefühl, hier in Gefahr zu sein, das Gefühl, dass meine Kollegen auf irgendein
verheerendes Ziel hinarbeiten – auf irgendeine Ungeheuerlichkeit, die an
der Stadt verbrochen werden soll. Also, was für ein Hinweis Dich auch dazu
gebracht hat, mich hier einzuschleusen (und ich weigere mich einfach
anzunehmen, dass ein Scharlatan wie diese Bagshaw irgendeine Rolle bei deiner
Entscheidung gespielt haben könnte), Du hast gut daran getan, ihn zu beachten.
Was auch immer diese Menschen planen, sie haben vor, es bald geschehen zu
lassen.
Meine Arbeit heute war wie immer
langweilig, aber zufälligerweise bin ich über eine Kleinigkeit gestolpert, die
es wert ist, erwähnt zu werden. Während ich mich durch einen ganz besonders
öden Teil der Buchführung hindurcharbeitete, stieß ich auf Unterlagen über
einige Transaktionen der Organisation. Bis vor kurzem kaufte
Love, Love, Love und Love
in großem
Maßstab unterirdische Liegenschaften auf – zumeist veraltete und nicht
mehr in Gebrauch stehende Teile des Kanalsystems und einige Tunnelabschnitte,
die von der Eisenbahn nicht mehr benutzt werden. Ich habe keinen Zweifel, dass
dies von Interesse für Dich ist, obwohl ich selbst im Moment keine
Bedeutsamkeit darin erkennen kann.
Ich werde danach trachten, mehr
darüber herauszufinden, wann immer ich dazu in der Lage bin, doch gerade jetzt
muss ich sehr vorsichtig zu Werke gehen. Ich stehe unter dauernder Beobachtung
und würde für den Fall, dass man den wahren Zweck meines Hierseins entdeckt,
keinen Deut mehr für meine Sicherheit geben. Wann darf ich denn wieder
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