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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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sich nicht an ihr Wort.
Sie entließen einen Großteil der Belegschaft und brachten ihre eigenen Männer
unter – und sogar Frauen, wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann.
Ein wahrhaftig kurioser Haufen, mein Wort drauf! Seltsame Kerle, alle
miteinander. Manche sahen aus, als hätte man sie geradewegs aus dem Rinnsal
aufgelesen – und wie ich Tan kenne, würde ich ihm das ohne weiteres
zutrauen. Und dann fingen sie an zu bauen. Unterirdisch. Unterkünfte, sagten
sie, für die Angestellten. Zu der Zeit, als ich rausflog, lebten die meisten
von ihnen schon dort. Und dann die Sache mit den Namen! Plötzlich hatten sie
etwas gegen die
Namen
ihrer Leute, und sie fingen an, darauf zu
bestehen, dass jedermann eine Nummer bekam. Abwegig. Abwegig und höchst
unchristlich. Ich wünschte, ich hätte etwas dagegen tun können.«
    »Ich habe jemanden in der Organisation, auf den
ich mich verlassen kann«, sagte Moon, »und so, wie es aussieht, hat sich dort
seit Ihrem Abgang alles noch weiter zum Schlechteren gewendet.«
    »Zum Schlechteren?«
    »Jetzt hat man den Eindruck, es ist mehr ein
Gefängnis als ein Unternehmen. Mittlerweile tragen sämtliche Mitarbeiter
Nummern. Wie Schlachtvieh. Und sie alle scheinen auf etwas zu warten. Wie eine
Armee vor dem entscheidenden Kampf, so hat man es mir geschildert. Sagen Sie
mir, Mister Love: Was haben diese Leute vor?«
    Love wirkte von der langen, anstrengenden Rede
erschöpft. Außerdem machte sich der Alkohol bemerkbar. Er ließ sich schlaff
zurückfallen. »Das weiß ich nicht genau. Einmal machte Tan nach ein paar
Gläsern merkwürdige Andeutungen über seine wahren Pläne. Damit hätte der alte
Coleridge keine Freude gehabt, das kann ich Ihnen versichern. Möglicherweise
habe ich nicht das gemacht, was er sich wünschte, aber ich würde nie so weit
gehen wie diese Kirche. Ich bin sicher, es ist etwas Schreckliches im Gange.
Aber sagen Sie mir, wer ist dieser Vertraute, den Sie bei
Love
haben?«
    »Meine Schwester.«
    »Ihre Schwester?« Entsetzt taumelte Love auf die
Füße, nur um wieder das Gleichgewicht zu verlieren und zusammenzusinken. »Du
meine Güte, Sie haben keine Ahnung, was Sie damit angerichtet haben!«
    »Weshalb denn?«
    Love schüttelte den Kopf. »Wie konnten Sie Ihre
eigene Schwester dort hineinschicken? Sie müssen sie sofort wieder
herausschaffen! Sie ist in höchster Gefahr!«
    »In Gefahr?«
    »Diese Leute haben so ihre Methoden, andere …
umzudrehen. Sie sind ungemein überzeugend. Ihre Schwester ist nicht sicher
dort! Sie müssen Sie augenblicklich zurückholen!«
    »Ist das Ihr Ernst?«
    »Gehen Sie auf der Stelle, meine Herren! Ich werde
hier auf Sie warten.«
    Moon stand auf und bedeutete dem Schlafwandler,
ihm zu folgen. »Wir kommen wieder.«
    »Bitte beeilen Sie sich! Ich könnte es nicht
ertragen, wenn irgendetwas Furchtbares passiert.« Loves Sprechweise war jetzt
schleppend und undeutlich geworden, und nach dem letzten Wort rollte er sich
langsam auf den Rücken, wie es aussah, kurz davor, das Bewusstsein zu
verlieren.
    So verließen ihn Moon und der Riese und hasteten
im Laufschritt zurück in die Altstadt und zu den schwarzen Toren von
Love
.
    Die Archivarin war im Begriff, eine
Serie von Berichten über den berüchtigten Finchley-Kannibalen von 1864
abzulegen, und überlegte soeben, sich heute früher zur Nachtruhe zu begeben, als
sie von einem plötzlichen Geräusch aufgeschreckt wurde: dem unverwechselbaren
Getrampel und Gepolter eines Besuchers, der sich in die Dämmerung ihres Reichs
vortastete.
    »Archivarin?« Die Stimme klang bekannt.
    »Mister Skimpole? Sind Sie das?«
    Wiederum heftiges Geklapper. Seltsam. Gerade
dieser Besucher war sonst immer so still, fast katzenhaft in seinen Bewegungen.
»Ja, ich bin es.«
    »Ist jemand bei Ihnen?«
    »Mein Sohn«, erklärte die Stimme.
    Die Archivarin war verärgert. »Sie kennen doch die
Vorschriften! Außenstehende Besucher sind nicht zugelassen! Außerdem möchte ich
anmerken, dass es schon sehr spät ist und dass Sie keinen Termin hatten.«
    »Ich brauche Ihre Hilfe!«
    Etwas an seiner Stimme war anders als sonst; sie
klang so heiser, rau und gehetzt wie noch nie zuvor.
    »Ich bitte um Vergebung. Möglicherweise habe ich
durch mein Kommen sogar Ihr Leben in Gefahr gebracht.«
    »Sie reden wirres Zeug, Mister Skimpole.«
    »Das Direktorium ist in Gefahr! Dedlock und
ich … Wir sind das Ziel! Jemand hat einen Meuchelmörder auf uns gehetzt.
Einen bezahlten Mörder, den sie

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