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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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zurück – zusammen mit all meinen geplatzten Träumen.
    Geisterhaftes Licht strahlte vom Präsidenten ab,
als er da unter mir das spiralenförmige Herz des Monuments hinabstieg, und er
warf seltsame grüne Schatten auf die Wände.
    Zumindest
glaube
ich, dass ich das sah;
ich fürchte, mein Geisteszustand war zu diesem Zeitpunkt alles andere als
einwandfrei.
    Und was dann geschah, war eine
Aneinanderreihung schrecklicher Zufälle.
    Sie brauchen sich um Moon keine Sorgen
zu machen (falls Sie es denn taten). Er war nur bewusstlos. Doch da er mich an
diesem einen Tage erst verraten und sodann den Präsidenten in den Wahnsinn
getrieben hatte, war eine Kopfnuss wohl das Geringste, was er verdient hatte.
Ich persönlich hätte ihn gar nicht ungern mit aufgeschlitztem Bauch gesehen.
    Doch für den Moment lassen wir ihn dort oben
liegen, der Welt entrückt. Er hat bereits genug angestellt.
    Etwa zu dem Zeitpunkt, als der
Präsident die ersten Anzeichen von Zersetzung erkennen ließ, betritt Mister
Maurice Trotman von Neuem unsere Bühne. Er war seit mehr als einer Stunde durch
die Straßen gehetzt, den Schirm ängstlich umklammert; sein Herz raste und zog
sich krampfhaft zusammen, und sein Vorrat an Mut war aufgebraucht –
ausgeströmt während der langen Flucht wie Luft aus einem undichten Ballon.
    Bei dem Versuch, den Präfekten zu entkommen, hatte
er sich direkt Richtung Stadtzentrum bewegt – auf das Geschäftsviertel zu,
wo er Sicherheit zu finden hoffte. Doch zu seinem Pech war er just an jenem Tag
unterwegs, an dem wir von
Love
schließlich unsere Karten aufdeckten.
Unser
Pech hingegen war es, dass er die Präfekten im Schlepptau hatte.
    Trotman wurde erst aufgehalten, nachdem er die
halbe Cannon Street entlanggelaufen war; als er sich durch die Masse
aufgeregter Kaufleute und halb übergeschnappter Bankiers kämpfte, fragte er
sich, ob er nicht versehentlich in einen Albtraum gestolpert war. Edward Moon
und Sie würden ihm wohl recht geben. Rund um ihn lärmten, kämpften und
prügelten sich Menschen, und – guter Gott! – war das ein Toter mitten
auf der Straße? Wie Cyril Honeyman vor seinem Ende spielte Trotman mit dem
Gedanken, dass die Geschehnisse dieses Morgens unter Umständen nichts
Schlimmeres waren als ein ganz besonders lebhafter Traum. Er fragte sich auch,
ob die hysterischen Warnungen des Direktoriums nicht vielleicht doch ein
Körnchen Berechtigung beinhaltet haben mochten; ja zum ersten Mal in einem
Leben, dessen Dahinplätschern bis dahin von keinerlei Farbe oder Reiz behindert
worden war, zog er sogar die Möglichkeit in Betracht, dass dies die ersten
Anzeichen eines einsetzenden Wahnsinns sein könnten.
    Winselnd und mit auseinanderklaffendem Schlafrock
hockte er sich auf den Bürgersteig und rollte sich zusammen wie ein Fötus im
Mutterleib. Er hegte die Hoffnung, dass er vom Pöbel übersehen und in Ruhe
gelassen werden mochte, wenn er nur lange genug unbeweglich so verharrte.
Dieses Glück hatte er selbstverständlich nicht.
    Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Er weigerte
sich aufzublicken, hoffte, dem Unvermeidlichen zu entgehen, und so schloss er
die Augen und presste die Arme fester um sich.
    »Kommen Sie schon, Sir! Spielen Sie mit! Los,
machen Sie mit bei diesem Spaß!«
    Trotman öffnete die Augen. Hawker und Boon standen
über ihn gebeugt; trotz der langen Verfolgung zeigten sie nicht den leisesten
Anflug von Ermüdung.
    »Holla, Maurice!«, sagte Boon.
    »Schönen Dank für das Rennen, altes Haus. War ganz
erfrischend.«
    Boon packte den Schirm, und Maurice Trotman begann
zu schluchzen.
    »Ach, herrje, seien Sie ein Mann!«, ermunterte ihn
der kleinere der beiden. »Sehen Sie der Sache ins Auge wie ein tapferer Junge!«
Mit diesen Worten hob er den Schirm hoch über seinen Kopf – das Damoklesschwert
des britischen Pendlers.
    »Warum nur?«, wimmerte Trotman. »Sagen Sie mir
nur, warum!«
    »Es ist ein Gefallen für jemanden.«
    »Für einen alten Kumpel.«
    »Pfundskerl.«
    »Vielleicht kennen Sie ihn sogar!«
    »Ein lustiger kleiner Racker.«
    »Sieht ganz blass und komisch aus.«
    »Skimpole?«, presste Trotman hervor, als ihm,
Sekunden vor seinem Untergang, ein Licht aufging.
    »Ganz recht!«, nickte Hawker.
    Wäre er länger am Leben geblieben, hätte Maurice
Trotman gewiss aufbegehrt gegen die Ungerechtigkeit, nur deswegen gejagt und
umgebracht zu werden, weil er seiner Beamtenpflicht nachgekommen war. So jedoch
blieb ihm keine Zeit mehr zum Nachdenken. Boon stieß

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