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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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eifrig
kritzelnden Reportern und dazu eine Unzahl von neugierigen Müßiggängern, die
sich mit dem Zusehen die Zeit vertrieben.
    Lady Glendinning musste Moons Ankunft beobachtet
haben. Sie kam ihm über die Auffahrt entgegen – das Gewühl von Presse,
Polizei und Pöbel tat sich vor ihr auf wie vor der bösen Märchenkönigin, deren
flüchtiger Blick bereits den Tod bedeuten konnte.
    Kaum drei Handbreit vor ihm blieb sie stehen. »Sie
sind zu spät.«
    »Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben wollen,
Madam, wir sind absolut pünktlich! Dennoch bin ich überrascht von all dieser
Geschäftigkeit. Ich bete zum Himmel, dass die Polizisten nicht allzuviel vom
Tatort zertrampelt haben!«
    »Nein, ich meine: Sie kommen zu spät! Ihr Pech,
Mister Moon. Es ist vorbei.«
    »Vorbei?«, wiederholte Moon, aber die Lady hatte
bereits kehrt gemacht und war auf dem Weg zum Haus.
    Der Schlafwandler runzelte die Stirn.
    In einiger Entfernung war das gewiss unpassendste
Geräusch für den Schauplatz eines Mordes zu vernehmen: ein heiseres Lachen mit
etwas schmutzigem Beiklang. Moon spürte, wie ihn der Hüne an seiner Seite sacht
anstieß, hob den Blick und sah eine wohlbekannte Gestalt unter freudigem Winken
herankommen. »Mister Moon!« Der Mann trat näher, strahlend über das ganze
Gesicht und mit ausgestreckter Hand. »Edward!«
    Moon zeigte wenig Begeisterung. »Guten Morgen,
Inspektor.«
    Behäbig, rotwangig, mit wild ins Kraut schießenden
Koteletten und wie immer in überwältigend aufgeräumter Stimmung, erinnerte
Inspektor Merryweather von der Kriminalpolizei in Art und Aussehen stark an
Mister Dickens’ Ghost of Christmas Past. »Scheint fast, als hätten Sie den Zug
versäumt, alter Knabe«, gluckste er. »Aber wer zuerst kommt, und so weiter!«
    »Wie bitte?«
    »Die Akte ist geschlossen, fürchte ich! Der Fall
ist gelöst! Wir haben den Mörder in Gewahrsam!«
    Moon bedachte ihn mit einem skeptischen Blick.
»Sind Sie sicher? Es wäre nicht das erste Mal, dass Sie den Falschen
festnehmen.«
    »Wie wahr, wie wahr, und sagen Sie nicht, dass ich
es bestreite! Aber hier nicht. Eine einfache Sache. Kaum begonnen, schon zu
Ende. Wir haben ein Geständnis.«
    Moons Enttäuschung war augenfällig. »Oh.«
    Der Schlafwandler gab ihm einen leisen Klaps auf
den Rücken, und Moons Miene erhellte sich daraufhin ein wenig. »Darf ich
fragen … wer es gewesen ist?«
    Merryweather lachte wieder – der nächste
dröhnende Ausbruch. »Sagen wir einfach« – er kniff ein Auge
zusammen –, »es war jemand aus der Dienerschaft.«
    Eine Gruppe schnatternder Polizisten in Uniform
schritt vorbei, die einen hochgewachsenen, dunkel gekleideten Mann in
Handschellen abführten. Der Festgenommene hatte einen unsteten Blick und
murmelte bitterböse Unverständliches vor sich hin. Als er am Inspektor
vorbeikam, spuckte er theatralisch auf den Boden.
    Merryweather antwortete mit einem fröhlichen
Winken und klopfte Moon auf die Schulter. »Ich würde mir keine Gedanken wegen
des Falles machen. Glauben Sie mir, die Sache war Ihrer nicht würdig. Zu
alltäglich. Vorhersehbar. Wie sagt man so schön – ›Schema F‹.«
    »Ich langweile mich, Inspektor! Ich brauche einen
Zeitvertreib!«
    »Die Jungs und ich, wir gehen zusammen ins
Wirtshaus, um zu feiern. Kommen Sie doch mit!«
    Moon zog die Nase hoch. »Heute nicht. Wir haben
Vorstellung.«
    »Nun denn – so hoffe ich auf ein baldiges
Wiedersehen.«
    »Vielleicht.«
    Merryweather warf einen nervösen Seitenblick auf den
Schlafwandler. »Empfehle mich.«
    Der Riese hob grüßend die Hand, und der Inspektor
stapfte merklich erleichtert zurück zu seinen Männern.
    »Wir sollten gehen«, sagte Moon trübsinnig. »Wir
sind hier überflüssig.«
    Schweigend und in Gedanken versunken machten sie
sich auf den Weg zurück zum Theater.
    »Ich glaube, es ist vorbei«, stellte er
schließlich fest. »Einst hatte ich ein wenig Talent, aber ich merke, es hat
sich verflüchtigt.«
    Der Riese tat sein Bestes, ihn aufzumuntern. Er
holte seine Tafel hervor:
    BLOS PECH
    »Vielleicht ist meine Zeit eben vorbei.
Das ist alles. Ich bin eingerostet.«
    Der Schlafwandler antwortete mit einem grimmigen
Lächeln.
    »Ich brauche etwas … etwas … Abwegiges!
Eine Schreckensgeschichte! Wie in den alten Tagen.«
    Ein plötzlicher Windstoß trieb ein Gestöber von
Papierfetzen heran und wickelte ein einzelnes Blatt der gestrigen
Gazette
um Moons Schuhe. Die Riesenschlagzeile darauf schrie ihm entgegen:
    Grässlicher

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