Das Albtraumreich des Edward Moon
Mrs Puggsley. »Sie wird Ihnen gefallen.«
»Und Lucy? Mary? Wo sind die beiden heute abend?«
»Sie widmen sich im Moment anderen Gästen. Warum
wollen Sie unsere Mina nicht erst einmal kennenlernen, Mister Gray? Ich
verspreche Ihnen, Sie werden nicht enttäuscht sein!«
Moon wand sich innerlich, als Mrs Puggsley schon
wieder sein Pseudonym gebrauchte. Er war sicher, sie hatte seit langem erkannt,
dass es ein falscher Name war, und seine dunkelsten Stunden verdankte er der
Befürchtung, sie könnte irgendwie über seine wahre Identität gestolpert sein.
Gelegentlich fragte er sich, ob sie »Gray« benutzte, um ihn zu necken und zum
Besten zu halten – um ihm auf diese Weise zu verstehen zu geben, dass sie
über ihn Bescheid wusste.
Er nickte. »Also gut. Lassen Sie sehen.«
Madame Puggsley machte eine schleimige Verbeugung.
»Schalten Sie ab, Mister Gray. Entspannen Sie sich. Gleich werden sich Ihre
schwärzesten Träume vor Ihren Augen mit Leben erfüllen.«
Es pochte sechsmal leise an der Eingangstür –
es war derselbe Code, den Moon selbst nur Minuten zuvor verwendet hatte.
»Entschuldigen Sie mich.« Mrs Puggsley watschelte
durch den Raum zur Tür, lugte durch ein kleines Loch in Augenhöhe und ließ ein
gluckerndes Kichern hören. »Es ist Pluck!«
Sie schloss die Tür auf und begrüßte ihren neuen
Klienten, einen kleinen, wohlgenährten, glatzköpfigen Mann mit scheußlichen
Pockennarben. In einer weltgewandten Geste des Bekanntmachens breitete die
Madame ihre Arme aus. »Mister Gray, darf ich Ihnen Mister Pluck vorstellen?«
Einigermaßen argwöhnisch schüttelten die beiden
Männer einander die Hand. Plucks Griff war schweißnass und kraftlos, und Moon
konnte kaum dem Bedürfnis widerstehen, die feuchten Ausdünstungen des Fremden
von seiner Handfläche zu wischen. »Sehr erfreut«, sagte er säuerlich.
»Meine Herren, plaudern Sie doch ein wenig
miteinander. In Kürze werde ich mit einem Stückchen vom Paradies wiederkommen.«
Mit einer letzten Verbeugung und einem prallen Schwenk entschwand sie aus dem
Salon in die inneren Gefilde des Hauses. Pluck zog sich einen Sessel heran.
»Gefällt mir sehr hier«, gestand er Moon. »Komme,
sooft ich kann. Sooft ich es mir leisten kann, Sie verstehen. Wissen Sie, bevor
ich dieses Haus entdeckte, dachte ich, niemand auf der Welt würde die gleichen
Gefühle haben wie ich. Ich dachte, ich wäre krank! Sie verstehen, Mister Gray?
Ich dachte, ich wäre abnormal!«
»Tatsächlich«, bemerkte Moon vage.
»Ganz klar, ich wusste, Sie würden mich verstehen.
Wahrscheinlich haben wir sehr viel gemeinsam. Diese … Liebhaberei etwa.
Sagen Sie, wann haben Sie erkannt, dass Sie in diese unsere … Richtung
tendieren?«
Moon, der keine Lust hatte, die Frage des Mannes
mit einer Antwort aufzuwerten, zog eine Zigarette aus der Jackentasche und
zündete sie an. Aus Höflichkeit hielt er seinem Gegenüber das Zigarettenetui
hin. Pluck akzeptierte freudig, und ein paar Augenblicke lang gab es nichts
anderes als Rauch und beglückendes Schweigen.
»Ich höre, es gibt ein neues Mädchen«, sagte Pluck
hinter den Rauchwolken. »Irgendeine Ahnung, wie sie so ist?«
»Nicht die geringste.«
»Wie es aussieht, werden wir es wohl gleich
herausfinden.« Pluck brachte etwas hervor, was entfernt nach einem leichten
Lachen klang – ein unangenehmes Geräusch zwischen Ängstlichkeit und
Begierde.
Erfreulicherweise kehrte Madame Puggsley in dieser
Sekunde zurück; sie rollte mit der ihr eigenen elefantenartigen Grazie in den
Salon, im Schlepptau ein höchst bemerkenswertes Geschöpf, das
nichtsdestoweniger auf den ersten Blick recht unauffällig wirkte: von höchst
anziehendem Äußeren (ein Mindesterfordernis in Mrs Puggsleys Mädchenstall),
dazu ein gefällig ebenmäßiges Gesicht, glatte Haut und Grübchen in den Wangen.
Sie war in eine schleierdünne weiße Robe gekleidet, die in der Taille von einer
dünnen Kordel zusammengehalten wurde – eng genug, um ihre natürlichen
Rundungen zur Geltung zu bringen. Doch was sie aus der Masse ähnlich hübscher,
aber nicht aus dem Rahmen fallender junger Damen hervorhob, denen man jeden Tag
auf der Straße begegnete, das war ein monströser, buschiger schwarzer Bart.
»Ist der echt?«, fragte Pluck mit ehrfürchtig
gedämpfter Stimme.
Madame Puggsley tat schockiert. »Mister Pluck!
Wofür halten Sie mich?«
»Darf ich ihn berühren?«
Mrs Puggsley wandte sich an das Mädchen. »Mina?«
Sie nickte und kicherte mit
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