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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Schlafwandler erwiderte nichts darauf; mit
gesenktem Kopf und den Milchkrug fest an die Brust gepresst, kehrte er um und
ging schwermütig zurück in die Küche.
    Nachdem er mit Mister Speight –
der sich in einer überraschend bequem aussehenden Lage in eine Ecke der Treppe
gezwängt hatte – im Vorübergehen ein paar belanglose Worte gewechselt
hatte, verließ der Prinzipal sein Theater und lenkte seine Schritte in ein
verrufenes Viertel der Stadt, das ihm und all jenen, die seine betrüblichen
Vorlieben teilten, nur allzu geläufig war. Moon hatte keine Lust, eine Droschke
zu rufen; er kannte den Weg in- und auswendig und legte ihn zu Fuß in weniger
als einer Stunde zurück. Diese Zeit benötigte er zudem, um sich auf das
Kommende vorzubereiten. Und wie versunken er in diese Aufgabe war, kann man
daran ermessen, dass es ihm völlig entging, wie fachkundig er während der
letzten fünfzehn Minuten seines Fußmarsches verfolgt wurde.
    Sein Ziel war ein abgewohntes Mietshaus am Ende
einer Gasse, ein paar Minuten Gehzeit von der Goodge Street entfernt; es lag in
jener unansehnlichen Gegend der Stadt, die etwa ein Jahrzehnt später als
»Fitzrovia« bekannt werden sollte. Die Fensterläden des Hauses waren zwar fest
verschlossen, an ihren Rändern drang jedoch ein verheißungsvoller Lichtschein
hervor.
    Moon sah sich rasch um, vergewisserte sich, dass
er allein war, und klopfte dann sechsmal in einem genau vorgegebenen Rhythmus
an die Tür. Während des Wartens war er sicher, dass ihn von der anderen Seite
des Einganges unsichtbare Augen beobachteten, und damit überfiel ihn die
zutiefst unbehagliche Überzeugung, dass er irgendwo im Inneren des Hauses
Gegenstand prüfender Blicke und begleitender Debatten war.
    Das stellte jenen Teil des Abenteuers dar, der ihm
stets am meisten zuwider war: allein hier vor der verschlossenen Tür
herumzustehen, bestrebt, in dieser menschenleeren Straße möglichst unverdächtig
zu wirken; kribbelig vor Scham, mit einem Gefühl der Wehrlosigkeit und gepackt
von der irrationalen Angst, dass ihm dank eines verrückten Zufalls sogleich
jemand begegnen mochte, den er kannte – ein Freund vielleicht, ein alter
Bekannter, der fragen würde, was ihn, Moon, hierherführte – der wissen
wollte, wieso er sich in einem Gässchen in diesem reichlich zweifelhaften
Stadtteil herumtrieb. Schlimmer noch: dieser hypothetische Jemand aus seinem Freundeskreis
mochte aus dem gleichen Grunde wie er selbst hergekommen sein – was wohl
sicherstellen müsste, dass sich eine solche Begegnung unter die peinlichsten
ihrer beiden Leben reihen würde. Dies war eine jener äußerst seltenen
Gelegenheiten, zu denen Moon sich fühlte wie ein begossener Pudel. Ich schlage
vor, wir kosten den Moment bis zur Neige aus.
    Endlich öffnete sich die Tür, und eine unförmig
dicke Frau stand vor ihm; sie war umflossen von einem matten gelben Lichtschein
und verströmte billige Parfumdämpfe. Ihre titanische Körperfülle vertraute sie
der stützenden Kraft eines festen Gehstockes an. »Mister Gray!« Sie strahlte.
»Wie lange das schon wieder her ist!«
    Verlegen trat Moon von einem Fuß auf den anderen.
    »Wieder diese elende Eintönigkeit des Alltags?«
    Er nickte verschämt, und die Frau stieß ein fettig
blubberndes Lachen aus. Sie humpelte voran, zog Moon über die Schwelle und
schloss die Tür hinter ihm.
    Drinnen war die Luft von Düften nach Räucherwerk
und Verlangen geschwängert. Moon betrat einen großen, verschwenderisch
möblierten und herausgeputzten Empfangssalon, der sich geradezu bog unter den
Früchten unmoralischen Reichtums. Er durchquerte ihn rasch und ließ sich in
einem von einem halben Dutzend üppig gepolsterter Sessel nieder. Ab jetzt kannte
er den Platz und den Ablauf der Ereignisse nur allzu gut.
    Die Frau sah ihn mit einem unanständigen Grinsen
an. »Wir haben heute eine Neue reinbekommen.«
    Von allen Bordellen Londons war jenes
von Mrs Puggsley das bemerkenswerteste, denn es sorgte für die Zufriedenstellung
eines ausgewählten und kritischen Kundenstocks. Die Männer, die Mrs Puggsleys
Etablissement besuchten, erwarteten eine Betreuung, die kein anderes der
einschlägigen Häuser der Stadt bieten konnte. Ihre Kunden hatten besonders
ausgefallene Neigungen – Vorlieben, die dem unschuldigen, noch nicht
abgestumpften Leser geschmacklos, ja selbst abstoßend erscheinen mögen. Sagen
Sie also nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!
    »Hat sie auch einen Namen?«
    »Mina«, schnurrte

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