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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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auf die Füße
gekommen war und sich den Staub aus den Hosen klopfte, sah er, dass auf dem
Stein das lateinische Wort RESURGAM stand – ›ich werde wiedererstehen‹.«
    »Versuchen Sie gerade, mir irgendetwas zu sagen?«
    »Ich tue mein Bestes. Aber es gibt eine Grenze für
das, was ich sagen kann. Nur so viel: Unter uns liegt ein Albtraumreich.« Er
sah Moon mitleidig an. »Und es wird zu Ihrem Albtraum werden.«
    Sein Gegenüber brummte gereizt. »Sprechen Sie
eigentlich immer in Rätseln?«
    Cribb grinste nun breit. »Das Monument ist
zweihundert und zwei Fuß hoch. Zufälligerweise die genau gleiche Höhe wie jene
der Nelsonstatue auf dem Trafalgar Square.«
    »Ist das von Bedeutung?«
    »Geheime Geometrie, Mister Moon. Die Stadt ist
voll davon.«
    Ein Führer tauchte auf und wies sie pedantisch
darauf hin, dass die Öffnungszeit vorbei war und sie beide sich augenblicklich
zum Ausgang zu begeben hatten.
    »Und wohin jetzt?«, fragte Moon.
    »Tee und Gebäck, denke ich.«
    Trotz seiner vielen zweifelhaften und
irritierenden Eigenschaften hatte Thomas Cribb etwas Fesselndes, ja
Faszinierendes an sich. Das versicherte mir jedenfalls Edward Moon, denn ich
selbst konnte dies nie beurteilen. Wie auch immer, bei Tee und Gebäck in einem
Kaffeehaus in Cheapside entdeckte Moon, dass er sich trotz allem für den Mann
zu erwärmen begann; er stellte ihm endlose Fragen über die Geschichte Londons
und machte darüber hinaus den Versuch, aus Cribb herauszupressen, was der über
den Fliegenmenschen und die Honeyman/ Dunbar-Morde wusste, aber sich weigerte
zu sagen. Im Laufe seiner zweiten Tasse Earl Grey stellte Moon ihm eine Frage,
von der er nicht recht wusste, wie er sie in Worte fassen sollte, ohne töricht
zu klingen. Er entschloss sich für Geradlinigkeit. »Warum erzählen Sie den
Leuten, dass Sie in der Zeit reisen?«
    Cribb spielte mit seinem Kaffeelöffel herum. »Ich
erzähle nichts dergleichen. Ich räume lediglich ein, dass ich in der Zukunft
gelebt habe.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Was Sie glauben, ist Ihre Sache. Aber ich kann
Ihnen dies sagen: In neun Jahren wird der König tot sein. In dreizehn Jahren
werden wir Krieg haben – und rund zwei Jahrzehnte danach schon wieder. Im
Jahre neunzehnhundertzweiundfünfzig werden Hunderte Londoner durch giftigen
Nebel ums Leben kommen. Zehn Jahre später wird sich die Silhouette der Stadt
für immer verändern: Neue Gebäude werden so hoch aufragen, dass sie an den
Wolken kratzen. Und in einem Jahrhundert erstehen großartige und unheimliche
Tempel dort, wo in unseren Tagen Schiffswerften und Docks blühen und gedeihen.«
    In aufrichtiger Bewunderung für seine Dreistigkeit
starrte Moon den Mann an. »Wie können Sie nur behaupten, all das zu wissen?«
    »Ich habe es durchlebt«, antwortete Cribb
schlicht.
    Moon lachte – etwas unsicher. »Eines muss man
Ihnen lassen: Ihre Schauergeschichten sind gut.«
    Noch ehe Cribb zu einer Entgegnung ansetzen
konnte, tauchte eine unwillkommene Gestalt an ihrem Tisch auf und hüstelte
artig.
    Mister Skimpole, der Albino, stand vor den beiden
Männern und begrüßte sie mit einem Neigen des Kopfes. »Meine Herren!«
    Moon ignorierte ihn.
    »Skimpole«, stellte Cribb verhalten fest.
    »Kennen wir uns?«, fragte der Albino verunsichert.
    Cribb wischte die Frage mit einer Handbewegung
beiseite. »Sie erinnern sich nicht an mich.«
    »Nein.« Skimpole starrte ihn an. »Nein, da haben
Sie recht. Hier, meine Karte.« Er reichte Cribb ein leeres Kärtchen aus dünnem
Karton, das dieser mit merkbarem Abscheu ansah.
    Skimpole äugte über seinen Kneifer hinweg, während
ein gekünsteltes Lächeln auf seinen Lippen gerann – der ganze Mann die
personifizierte Unaufrichtigkeit. »Es tut mir unendlich leid, dass ich
gezwungen bin, Sie zu stören, Mister Moon, aber ich muss Sie dringend darum
bitten, mir eine Minute lang Gehör zu schenken.«
    Moon durchbohrte ihn mit seinem Blick. »Sind Sie
mir gefolgt?«
    »Ich danke Ihnen für den Stadtrundgang. Äußerst
lehrreich.«
    »Was wollen Sie?«, schnauzte Moon ihn an.
    »Das, worum ich Sie seit Wochen ersuche: Ihre
Hilfe. Nicht mehr und nicht weniger. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass man Sie
dafür großzügig belohnen wird.«
    »Sie haben meine Antwort bereits!«, entgegnete der
Detektiv, kaum mehr in der Lage, seinen Ärger zu zähmen.
    »Ich bitte Sie!«, flehte Skimpole. »Die ganze
Stadt ist in Gefahr!«
    »Das kann jeder sagen.«
    »Ich hätte eigentlich gedacht, dass Sie

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