Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
nach
Clapham schon in den Startlöchern stehen würden. Zwingen Sie mich nicht dazu,
drastische Maßnahmen zu ergreifen.«
    »Ein für allemal: nein!«, fauchte Moon, dessen
sämtliche Nackenhaare sich angesichts dieser Drohung aufgestellt hatten.
    Skimpole seufzte ausgiebig und melodramatisch.
»Dann, fürchte ich, lassen Sie mir keine Wahl.« Er verbeugte sich und
schlenderte zur Tür. »Wir sehen uns bald wieder.«
    »Unangenehmer Geselle«, bemerkte Cribb, als
Skimpole draußen war, und kaute gedankenverloren an einem kleinen Kuchen. »Ich
darf doch annehmen, dass Sie beide nicht befreundet sind?«
    Moon schüttelte den Kopf. »Skimpole schlägt
Kapital aus den Schwächen der Menschen«, erklärte er geradeheraus. »Er lebt von
kleinlichen Eifersüchteleien und den wunden Punkten der Leute. Aber ob Sie es
glauben oder nicht, er hat die geballte Macht von König und Land hinter sich.
Er arbeitet für ein Amt der Regierung, das sich absurderweise ›Direktorium‹
nennt.«
    »Hatten Sie in der Vergangenheit schon miteinander
zu tun?«
    »Noch bevor ich den Schlafwandler kennenlernte«,
sagte Moon mit düsterer Stimme.
    »Davor?« Cribb wirkte einigermaßen überrascht.
»Man hat den Eindruck, als wären Sie beide immer schon zusammen gewesen.«
    »Davor … Vor Jahren hatte ich einen Partner.«
Moon stockte. »Einen jungen Mann. Er besaß die gleichen kritischen Fähigkeiten
wie ich, nur in noch größerem Ausmaß. Früher oder später hätte er mich mit
Leichtigkeit überflügeln können. In einer gütigeren, freundlicheren Welt hätte
er das wohl auch getan. Und darüber hinaus war er schön. Von einer umwerfenden,
herzzerreißenden Schönheit.«
    Cribb trank höflich seinen Kaffee in kleinen
Schlückchen – sprachlos ob dieses unerwarteten Gefühlsausbruches.
    »Ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen, aber
Skimpole entdeckte seine Achillesferse. Ein unglücklicher Zufall, eine kleinere
Indiskretion, ein Augenblick der Schwäche, nichts weiter. Aber das Direktorium
brachte ihn durch Erpressung dazu, für es zu arbeiten. Der liebe Junge folgte
den Anordnungen des Albinos nur, um einen Skandal zu vermeiden – um
meinetwillen ebenso wie um seiner selbst willen.« Moon schloss vor Gram die
Augen. »Das Opfer, das er brachte, kostete ihn schließlich alles. Im Verlauf
seiner Tätigkeit für das Direktorium verlor er …« Ein weiteres Stocken.
Ein verlegenes Hüsteln. »Er verlor seine Empfindungen für mich. Daher werden
Sie verstehen, weshalb ich niemals für Skimpole arbeiten kann, ja weshalb ich
Mühe habe, mich soweit zu zügeln, dass ich ihn nicht auf der Stelle erschieße,
sobald ich ihn zu Gesicht bekomme.«
    »Mich beunruhigt ein wenig, was er damit wohl
meinte … mit den drastischen Maßnahmen.«
    Moon zuckte die Achseln. »Ich bin durchaus in der
Lage, auf mich aufzupassen.«
    »Hat mich der Schlafwandler Ihnen gegenüber
eigentlich erwähnt?«
    »Nein. Warum? Sollte er?«
    »Ich könnte mich irren«, räumte Cribb ein, »aber
ich dachte, er hätte mich wiedererkannt.«
    »Sie wiedererkannt?«
    »Ausgeschlossen, natürlich. Ich bin sicher, ich
würde mich daran erinnern. Dennoch bin ich neugierig – wie haben Sie beide
sich kennengelernt?«
    »Aber Sie haben doch in der Zukunft gewiss
jegliches Wissen über uns zur Verfügung, oder?«, wandte Moon sarkastisch ein.
»Beschäftigen sich die Universitäten der Zukunft denn nicht mit Studien meiner
Person? Stehen nicht an jeder Straßenecke Statuen von mir?«
    »Man wird Sie vergessen, fürchte ich. Sie werden
eine Fußnote sein, Edward. Einer von denen, die die Geschichte nicht einmal
unter ›ferner liefen‹ vermerkt.« Cribb übersah offenbar, wie sehr seine Worte
Moon zu treffen schienen. »Aber wir sind vom Thema abgekommen. Sie wollten mir
gerade vom Schlafwandler erzählen.«
    »Das wollte ich nicht!«, widersprach Moon scharf.
»Sie haben mich nach ihm gefragt.«
    »Bitte …«
    »Er kam zu mir. Eine Weihnacht, vor etlichen
Jahren.«
    »Schnee auf den Straßen?«, half Cribb ihm weiter.
»Weihnachtslieder auf dem Albion Square? Gassenkinder, die Schneemänner bauen?«
    »Ja, zufällig war es so«, bestätigte Moon
verdutzt. »Warum?«
    »Ach, ich male mir nur den Hintergrund der Szene
aus. Fahren Sie fort!«
    »Es gibt nicht viel zu berichten. Ich hörte ein
Klopfen an der Tür und fand ihn draußen vor, zitternd vor Kälte.«
    »Wie ein Kätzchen, das sich verlaufen hat.«
    »Ich ziehe es vor, ihn als Findelkind zu
betrachten. Aber ich

Weitere Kostenlose Bücher