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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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»Wir
benötigen die Beurteilung eines Fachmanns.«
    Merryweather runzelte die Stirn. »Was meinen Sie
damit?«
    »Es gibt nur einen Mann in London, der über ein
noch größeres Maß meiner Fähigkeiten verfügt als ich selbst.«
    Der Inspektor war die Sache langsam leid und hob
eine Braue. »Wer soll das sein?«
    Moon verzog das Gesicht, als hätte er
versehentlich etwas Bitteres verschluckt. »Barabbas.«
    Der Schlafwandler sah ihn mit einem fragenden Blick
an, aber der Name hatte eine völlig andere Wirkung auf den Inspektor.
Entgeistert stellte er sein noch unberührtes Getränk auf die Theke. »Das kann
nicht Ihr Ernst sein!«
    Aber Moon war bereits auf dem Weg zur Tür. »Ich
möchte ihn noch heute Nacht sprechen!«
    Merryweather und der Schlafwandler tauschten
gottergebene Blicke aus.
    »Das ist nicht möglich!«, rief der Inspektor.
    »Dann machen Sie es möglich!«, bellte Moon zurück.
»Fordern Sie jeden Gefallen ein, den Ihnen jemand schuldig ist! Zahlen Sie, was
immer es kostet, die Rädchen zu schmieren! Ich treffe Sie beide in einer
Stunde.« Mit einer majestätischen Handbewegung verabschiedete er sich und war
auch schon verschwunden.
    Der Schlafwandler kritzelte eine Botschaft an den
Inspektor:
    WO SOLLN WIR HIN
    Merryweather ächzte. Er wirkte mit
einem Mal schwermütig, ja verhärmt; seine gute Laune war dahin. »Nach Newgate«,
seufzte er.

NEUN
    Newgate hockte direkt im Herzen der
alten Stadt – die Hauptfiliale der Hölle auf Erden.
    Zu dieser Zeit, in den letzten Jahren seiner
Geschichte, bevor es abgerissen und durch etwas nicht so augenfällig
Infernalisches ersetzt wurde, beherbergte das Zuchthaus ausschließlich
Verbrecher, die bereits zum Tode verurteilt wurden und auf ihre Hinrichtung
warteten – Sünder, für die alle Einsprüche Vergangenheit und alle
Hoffnungen verloren waren und deren einzige Chance auf Gnade bei einem höheren
Gericht lag. Es war ein Ort ohne Mitleid und Liebe, ein urbanes Krebsgeschwür,
durchpulst und durchsetzt vom Tod.
    Sie trafen kurz nach Mitternacht ein. Der Himmel
war schwarz von Sturmwolken, und es hatte wieder zu regnen begonnen – ein
kümmerliches graues Nieseln.
    »Warum regnet es bloß immerzu?«, klagte der
Inspektor, als sie aus der Droschke stiegen.
    »Hatte ich gar nicht bemerkt«, fertigte Moon ihn
barsch ab. Er schritt auf die ebenholzschwarzen Tore des Gefängnisses zu,
Merryweather und den Schlafwandler widerstrebend an den Fersen. Der Riese
musterte den gewaltigen, bedrohlichen Bau und erschauerte. Zwei Wachen
verfolgten mit aufsässiger Miene ihr Näherkommen.
    Merryweather machte den Wortführer. »Ich bin
Polizeiinspektor Merryweather«, sagte er. »Dies sind Mister Moon und der
Schlafwandler. Wir werden erwartet.«
    Einer der Männer nickte kurz und unfreundlich;
sein Gesicht hatte die gleiche Farbe wie seine verschmutzte Uniform.
    Nach ausgiebigem Schlüsselgerassel und dem
Zurückziehen zahlreicher Riegel und Schieber war es den dreien gestattet, ein
kleineres Türchen zu passieren, das sich wie eine Katzenklappe im unteren Teil
des Haupttors befand. Dahinter lag ein leerer, nur vom spärlichen Mondschein
erhellter Hof, wo in jedem Winkel, jeder Ecke dunkle Schatten lauerten. An
seinem Rand wartete ein Mann – eine einigermaßen groteske Erscheinung:
Elegant und gut gekleidet, jedoch geschlagen mit weit fortgeschrittener
Kahlköpfigkeit, trug er das wenige Haar, das er noch besaß, zu einem Zopf
geflochten, der ihm bis über den halben Rücken hing – ausgehend von einem
fettigen, unansehnlichen Zottelkranz, der unerklärlicherweise an seinem blanken
Schädel festgeheftet schien. Er begrüßte sie mit einem freundlichen Winken.
    »Mister Moon!« Er schüttelte die Hand des Magiers
mit einem so warmen, klebrigen Nachdruck, dass Moon unwillkürlich zurückzuckte.
»Was für eine Freude, Sie wiederzusehen!« Er wandte sich an die anderen beiden.
»Mein Name ist Meyrick Owsley. Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen.
Barabbas erwartet Sie bereits.« Er drehte sich um und schritt energisch voran;
die drei Besucher folgten ihm – Moon an seiner Seite, leise und
eindringlich auf ihn einsprechend, Merryweather und der Schlafwandler ein paar
taktvolle Schritte dahinter.
    Owsley führte sie vom Hof ins Gebäude und dort
immerzu abwärts bis in das unterirdische Labyrinth von Newgate. Jede Tür und
jede Schranke auf ihrem Weg musste aufgeschlossen werden – und an jeder
wachte ein schwer bewaffneter Aufseher mit der

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