Das Albtraumreich des Edward Moon
Wer
ist der nächste?«
Moons Augen sahen in die des Schlafwandlers, und
sie tauschten ein skeptisches Lächeln.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich fast sicher
schon tot, und Ihre Identität berührt mich nicht im geringsten. Aber wer Sie
auch sind, so halte ich Sie im besten Fall für einen Zyniker und
schlimmstenfalls für einen wackeren, aufrechten Misanthropen. Schließlich wäre
keiner außer einem unheilbaren Zyniker imstande, sein Interesse an einer
solchen Parade von Dieben, Gaunern, Lügnern und Betrügern, welche die Seiten
des vorliegenden Werkes füllen, bis zu diesem Punkte wachzuhalten. Daher
bezweifle ich, dass jemand mit Ihrer, wie ich annehme, sarkastischen Sicht des
Lebens seine Zeit mit dem tischchenrückenden, okkulten Unsinn wie Medien und
Séancen vergeudet. Habe ich recht? Dachte ich’s doch.
Natürlich hätte Moon mit seiner
gleichfalls schwer misanthropischen Ader, die nur gelegentlich durch mildtätige
Anwandlungen gemäßigt wurde, gewiss all dem eben Gesagten beigepflichtet. Bevor
sein Heim und Broterwerb Mister Skimpole zum Opfer gefallen waren, hatte er
seinen Lebensunterhalt damit verdient, die Leute so lange zu narren, bis sie
das Unmögliche tatsächlich glaubten. Wie es aussah, tat Madame Innocenti mehr
oder weniger das gleiche, nur weitaus gewinnbringender, sowie (falls man den
Behauptungen des Albinos über die Häufung der Direktoriumsbesuche in Tooting
Glauben schenken durfte) mit weitaus mehr Einfluss.
Wenn nichts anderes, dann war sie zumindest eine
meisterhafte Schauspielerin. Das Aneignen verschiedener Stimmen – jene von
Corcoran, dem verstaubten Spanier, und die Kleinkindertöne des Salisbury
Sohns –, dazu ihre eigene betörende, so gar nicht den üblichen
Vorstellungen entsprechende Erscheinung, das alles war erstklassiges Theater;
unverkennbar besaß sie die Fähigkeit (zweifellos mit Feinschliff versehen durch
die jahrelange Inszenierung von Hokuspokus und mystischem Getue), ihren
Zuhörern genau das zu sagen, was sie hören wollten, und in ein paar Sätzen
verschwommenen, tröstlichen Gewäschs all das zu bestätigen, was sie sich immer
schon erhofft und erträumt hatten.
Nachdem die Salisburys mit ihrem Sohn gesprochen
hatten, bedachte Corcoran Mrs Erskine mit dem Geist ihres Gatten (seit zwanzig
Jahren auf See verschollen) und Miss Dolly Creed mit der hohen, nörgelnden
Stimme ihres verblichenen Bräutigams. Moon fragte sich, was für eine Sorte Mann
sich zur Heirat mit einer solchen Schreckschraube bereit erklären könnte, und
schloss, dass dieser seinen eigenen Tod wohl inszeniert haben musste, um dem
Altar zu entgehen. Schon unangenehm genug, sinnierte Moon, im Leben mit der
Aussicht auf ein solch pferdegesichtiges Weibsbild geschlagen zu sein, aber
noch schlimmer, wenn man dann selbst noch beim fröhlichen Herumtollen auf den
elysischen Feldern von selbigem gestört wird.
Als Ellis Lister an der Reihe war, ersuchte er
nicht wie alle anderen mit einem toten Verwandten, einem früheren Liebchen oder
seinem verendeten Lieblingshund zu sprechen, sondern verlangte nach Corcoran
selbst.
»Mister Lister?« Madame Innocenti sprach mit der
eingerosteten Stimme des Spaniers. »Ich denke, wir haben uns bereits
kennengelernt.«
»Das haben wir tatsächlich, Señor. Ich fühle mich
geschmeichelt, dass Sie sich meiner entsinnen.«
»Vom Geheimdienst, nicht wahr?«
Lister lächelte schmallippig. »Das möchte ich
nicht an die große Glocke hängen.«
»Natürlich nicht. Auch ich selbst habe mich
nebenbei mit den Ränkespielen dieser geheimen Welt befasst. Ich erinnere mich
noch gut an ihre Anstandsregeln.«
Mit einem Male fiel Moon auf, dass er angefangen
hatte, Madame Innocentis Schauspielkunst zu vergessen, und dabei war, ihre
Corcoran-Stimme als eine eigene, unabhängige Person zu akzeptieren. Er gebot
sich mit aller Strenge, diese lächerlichen Torheiten zu lassen.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Ich brauche einen Namen. Wir haben den Verdacht,
einer der jungen Männer, die für uns tätig sind, könnte sich in den Dienst
fremder Mächte gestellt haben.«
Madame Innocenti nickte wissend. »Ochrana? Der
russische Geheimdienst?«
Lister beeilte sich, ihr das Wort abzuschneiden.
»Psst! Wir sind nicht allein!«
»Allerdings.«
»Können Sie mir sagen, wer es ist?«
»Geben Sie mir alle Namen.«
Sichtlich verlegen nannte Lister dem Medium die
Vornamen der fünf Hauptverdächtigen.
Madame Innocenti hörte zu und blieb stumm. Nach
einer Weile sagte sie:
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