Das Albtraumreich des Edward Moon
ohne den Fliegenmenschen zu erwähnen, während
Skimpole, offenbar beunruhigt von den Neuigkeiten, mit seinen schlanken Fingern
ungeduldig auf die Tischplatte trommelte.
»Zehn Tage«, sagte er nachdenklich, als Moon
geendet hatte, und fragte dann unvermittelt: »Halten Sie die Warnung für echt?«
Der Magier und Detektiv wählte seine Worte mit
Sorgfalt. »Wären Sie gestern Nachmittag mit dieser Frage gekommen, hätte ich
gesagt, mit Sicherheit nicht. Meiner Erwartung nach gehörte Madame Innocenti in
die Reihe der üblichen Scharlatane wie alle anderen auch.«
»Und Sie haben Ihre Auffassung geändert?«
Der Schlafwandler kritzelte etwas auf seine Tafel.
FLIEGE
Skimpole schien irritiert durch die
Unterbrechung. »Was will er denn damit sagen?«
»Ich bat sie, mit dem Geist des Fliegenmenschen
sprechen zu dürfen«, gestand Moon.
»Und? Sprachen Sie mit ihm?«
Moon wurde blass. »Ja«, nickte er. »Ich glaube
wirklich, dass ich das getan habe.«
Skimpole trug ihnen auf, sich bei erster
Gelegenheit wieder nach Tooting Bec zu begeben, nuschelte eine Art wortlosen
Dank für ihren Dienst an der Krone und stapfte zur Tür. Gerade, als er
hindurchtreten wollte, drehte er sich noch einmal um. »Ach ja – beim
Empfang wartet eine Überraschung auf Sie.«
Moon und der Schlafwandler machten sich auf den
Weg nach unten, wo sie eine alte Freundin vorfanden. Sie quiekte entzückt, als
sie die beiden erblickte. »Mister Moon!«
Selbst der Detektiv gestattete sich ein kleines
Lächeln, als er sie wiedersah. »Mrs Grossmith!«
Der Schlafwandler hingegen erlegte sich keine
Zurückhaltung auf, und er und die Haushälterin fielen einander innig in die
Arme.
»Skimpole hat mich gefunden«, erklärte sie, als
die beiden sich voneinander gelöst hatten. »Ich soll ab jetzt hier für Sie
arbeiten.«
»Aha.«
»Freut Sie das nicht?«
»Ich habe momentan den Kopf voll mit Dingen, die
mich beschäftigen.«
Jemand hüstelte. Ein Fremder stand ein halbes
Dutzend Schritte hinter Mrs Grossmith, ein unordentlich wirkender, hochgewachsener
Mann, der ein paar Jahre älter schien als sie. Mit seiner langen Nase und den
unverhältnismäßig großen Ohren erinnerte er stark an eine Teekanne mit zwei
Henkeln. Er wollte näherkommen, verfing sich jedoch in seinen Schnürsenkeln und
lag im nächsten Moment flach auf dem Boden. Nachdem er sich wieder
hochgerappelt und den Staub von den Kleidern geklopft hatte, fragte er mit
leiser, nervöser Stimme: »Also, Mrs Grossmith, wollen Sie uns jetzt vorstellen
oder nicht?«
Mrs Grossmith errötete. »Oh, Verzeihung«, kicherte
sie ungewohnt kleinmädchenhaft. »Das ist Arthur Barge. Mein Hauswirt. Und
jetzt …« Wieder entschlüpfte ihr ein Kichern, und sie fuhr in einem leicht
schrillen Tonfall fort: »Ein ganz besonders lieber Freund.«
Ein langes, peinliches Schweigen folgte. Moon
musterte den Mann herablassend und schüttelte halbherzig seine Hand.
Arthur Barge stieg verlegen von einem Fuß auf den
anderen. Glücklicherweise wurden sie vom Nähertreten des Hotelportiers
unterbrochen.
»Mister Moon?«, fragte der Mann diskret und
unterwürfig wie immer. »Sie haben noch einen Besucher. Er ist leider äußerst
hartnäckig.«
»Wer?«
Bevor der Portier noch antworten konnte,
marschierte ein komischer Kauz in den Raum. Er fing sofort an zu reden und
stolperte in seiner Hast, sich Gehör zu verschaffen, dabei über jedes zweite
Wort. »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen. Es wäre mir äußerst unangenehm,
ein Freundestreffen zu stören. Doch in Anbetracht dessen, was passiert ist,
sehen Sie alle sehr gut aus.« Er streckte Moon die Hand hin. »Edward! Wie
schön, Sie wiederzusehen. Hätten Sie Lust auf einen Spaziergang?«
Es war natürlich Thomas Cribb.
ELF
Unter der Stadt träumt der alte Mann.
Ein Satz taucht aus den Tiefen des Nichts auf und
formt sich in seinem Kopf.
»Alle Dichter kommen in die Hölle.«
Eine seltsame Aussage, aber der Alte ist sicher,
dass er sie schon irgendwo gehört hat. Oder gelesen, vielleicht. Oder sogar
selbst geschrieben.
Er träumt, dass er sich wieder in seinem
Schlafzimmer in Highgate befindet. Doktor Gillman ist da – und noch
jemand, eine zwergenhafte Gestalt drüben in den übelwollenden Schatten, die in
den äußersten Winkeln des Zimmers lauern. Dann tritt der Fremde ins Licht, die
dunkle Gestalt zeigt sich – und der Träumer lacht erleichtert auf: Es ist
ein kleiner Junge, nicht älter als zehn Jahre. Er erkennt ihn jetzt wieder.
Weitere Kostenlose Bücher