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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Nase wegen des
allgegenwärtigen Fäulnisgeruchs und setzte seine Schritte so vorsichtig wie
möglich; trotzdem quoll der Schmutz und Schlick des Flusses von allen Seiten
über seine Schuhe.
    »Schlamm!«, begann Cribb und klang dabei genauso
wie auf der London Bridge: als würde er zu einer Predigt ansetzen. »Herrlicher
Schlamm …«
    »Haben Sie Feuer?«, fragte Moon, während er in
seinen Taschen erfolglos nach einer Zigarette suchte.
    Cribb beachtete ihn nicht. »Wir haben die
Eingeweide der Stadt passiert; nun durchwandern wir die Länge ihres Gedärmes.«
    »Bezaubernder Vergleich.«
    »In einem Jahrhundert wird all das hier
niedergerissen, dieses Vermächtnis des Fleißes, der Plackerei und des
Schweißes. An seiner Stelle werden große Tempel erbaut, Monumente des
Reichtums, der Habsucht und der Macht.«
    Moon starrte geradeaus; er hörte nicht wirklich
zu. Über ihnen schrie eine Möwe.
    Cribb schnatterte weiter. »London ist ein
Hemmschuh. Verstehen Sie? Es beengt und schwächt seine Einwohner. Die Stadt ist
eine Falle.«
    »Was geht dort vor sich?«, fragte Moon und zeigte
auf so etwas wie ein großes Zelt, das aus unerfindlichen Gründen ein paar
Schritte vom Fluss entfernt am Ufer thronte.
    »Also wirklich, Edward! Sie können einen manchmal
rasend machen! Ich versuche gerade, Ihnen etwas äußerst Wichtiges zu erklären!«
    Cribb schnalzte missbilligend mit der Zunge, aber
Moon hatte bereits seine Schritte beschleunigt, und so war er gezwungen, sich
in Trab zu setzen, um seinen Begleiter einzuholen. Es amüsierte ihn, Skimpoles
Mann zu bemerken, der hinter ihnen herwatschelte, Schuhe und Hosen durchnässt
und matschig vom schleimigen Auswurf des Flusses.
    Moon erreichte das Zelt. Das leinene Vordach
flatterte geräuschvoll im Wind, so als wäre ein großer Vogel darunter gefangen,
der beim Versuch freizukommen verzweifelt mit seinen gigantischen Flügeln
schlug. Der Magier und Detektiv lugte ins Innere des Zeltes und sah, dass man
das Erdreich dort sorgfältig ausgehoben hatte. Der Boden war von Gruben und
Trichtern durchzogen und von Markierungspflöcken übersät; das Gelände war
abgesteckt und eingeteilt.
    Eine Gruppe von Männern – umgeben von einer
Aura schlampiger Vornehmheit, gesteckt in schlammbespritzte, verschmutzte
Kleider – erregte Moons Aufmerksamkeit; sie drängten sich um ein großes,
rundes Objekt auf einem Tisch in der Mitte des Zeltes. Moon ging näher
heran – und benötigte einen Moment, um die schiere Absonderlichkeit des
Anblicks in sich aufzunehmen: zu akzeptieren, dass das, was er sah, Realität
war.
    Er betrachtete etwas, das anscheinend einen
gewaltigen Kopf aus Stein darstellte – zu groß und unhandlich, um von
einer einzelnen Person hochgehoben zu werden, verkrustet mit Sand und Schlick,
aber ansonsten unversehrt. Kichernd und durcheinandergackernd wie eine
Schulklasse, die vom Lehrer kurz alleingelassen wurde, waren die Männer viel zu
aufgeregt, um von Moons Eindringen viel Notiz zu nehmen.
    »Wer seid ihr?«, fragte er.
    »Vom Britischen Museum«, zischte einer von ihnen.
»Sind Sie von der Presse?«
    »Ja«, log Moon skrupellos, und der Mann nickte ihm
zerstreut einen Gruß zu.
    Endlich traf auch Cribb ein – außer Atem und
mit einen Hauch Farbe auf den Wangen, die sich mit seinem rötlichen Haar so gar
nicht vertrug.
    Moon schenkte ihm keine Beachtung, sondern wandte
sich an einen anderen aus der Gruppe: »Was ist das?«
    Der Angesprochene schien beinahe trunken vor
Glück. »Ein äußerst bedeutsamer Fund«, antwortete er. »Es muss ganz
zweifellos …« Er drehte sich zu einem Kollegen um, der über den riesigen
Kopf gebeugt am Tisch stand: »Was denkst du? Vorrömisch, sicher vorrömisch,
wie?« Jetzt sah Moon, dass der Kopf aus irgendeinem bräunlichen Metall bestand.
    »Muss es wohl sein, bei dieser Tiefe«, antwortete
der Kollege.
    »Sehen Sie nur diese Kunstfertigkeit!«, hauchte
Moons Gesprächspartner. »Diese anspruchsvolle Ausführung!«
    »Und wer soll das sein?«
    Der Mann ging daran, sanft die Verschmutzungen von
dem Kopf zu wischen. »Gefährliche Sache, mit Theorien daherzukommen, wenn noch
keine Fakten vorliegen«, sagte er. »Aber falls ich eine Mutmaßung äußern
dürfte, dann … ein hiesiger Anführer vielleicht? Stammeshäuptling?«
    »Zu beeindruckend dafür«, erklärte der älteste der
Gruppe. »Viel zu imposant.«
    »Warte mal«, mischte sich ein anderer ein. »Da
steht ein Name!«
    Als der trockene Schlamm vom Sockel des

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