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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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und munter,
wenn es angebracht ist.«
    Moon legte die Fingerspitzen gegeneinander.
»Mister Barge. Ich verdanke Mrs Grossmith jahrelange treue Dienste. Ich bin
nicht völlig gefühllos und würde mir nicht wünschen, zusehen zu müssen, wie Sie
ihr – um es volkstümlich auszudrücken – das Herz brechen.«
    Barge gluckste leise. »Wollen Sie mich damit
fragen, ob meine Absichten ehrenhaft sind?«
    »Allerdings«, antwortete Moon ohne den Anflug
eines Lächelns. »Wie haben Sie das bloß erraten?«
    Barge plusterte sich auf. »Seien Sie ganz
beruhigt. Ich werde sie immer in Ehren halten.«
    Moon leerte sein letztes Glas. »Das möchte ich
Ihnen auch empfehlen. Wenn ich draufkomme, dass Sie sie in irgendeiner Weise
schlecht behandeln, dann …« Er unterbrach sich, weil ihm keine ausreichend
gefährliche Drohung einfallen mochte. »Verlassen Sie sich darauf«, schloss er
lahm, »ich kriege Sie!«
    Barge starrte ihn an, verblüfft über diesen so
lauwarm versandeten Ausbruch von Angriffslust. »Tut mir leid, wenn ich Sie
irgendwie erzürnt haben sollte. Ehrlich. Ich weiß nicht, wie das geschehen
konnte.«
    »Ich werde Sie im Auge behalten«, knurrte Moon
ungehalten.
    »Ich liebe sie eben«, fügte Barge kleinlaut hinzu;
er schritt zum Ausgang und konnte es dabei sogar vermeiden, die Gläser der
Gäste umzuwerfen. Doch dann hatte er große Mühe mit der Tür, weil er erfolglos
versuchte, sie aufzureißen, wo sie doch dem leichtesten Druck nachgegeben hätte.
Erst das Eintreten des Schlafwandlers bot ihm die Gelegenheit zu entkommen. Er
blieb einen Moment stehen, um dem Riesen seinen Dank auszusprechen, aber dieser
trampelte mürrisch an ihm vorbei, ohne ihn auch nur anzusehen.
    Als Moon seinen Freund erblickte, ächzte er und
schob in dem vergeblichen Versuch, den Umfang seines Getränkekonsums zu
verschleiern, einige der leeren Gläser beiseite, die aufgereiht vor ihm
standen. Der Schlafwandler war jedoch nicht zu irgendwelchen Spielchen
aufgelegt. Er zog sich einen Barstuhl an den Tisch, senkte seine hünenhafte
Statur darauf und schrieb wie wild auf seine Tafel; das grimmige Rattern der
Kreide über den Schiefer klang für Moon wie entfernter Kanonendonner.
    WO WARS DU
    Moon wand sich. Der Schlafwandler
deutete wütend auf das Geschriebene.
    »Ausgegangen«, sagte Moon und stand unsicher auf.
Einen Moment lang schwankte er hin und her, bis die Beine wieder unter ihm
nachgaben und er hart auf den Stuhl zurückfiel. Der Schlafwandler nahm keine
Notiz davon.
    CRIBB?
    »Ja«, gestand Moon mit dem Anflug einer
Gefühlsregung in der Stimme.
    TRAU IM NICH
    Moon blickte auf. »Du kennst ihn,
stimmt’s?«
    BLEIB WEG VON IM
    »Das begreife ich nicht. Warum willst
du mir nicht sagen, was du weißt? Warum will mir
niemand
sagen, was er
weiß?«
    FERTRAU MIR
    Moon seufzte.
    BITTTE
    Aufgeregt unterstrich der Schlafwandler
das Wort.
    Moon presste die Hände an den Kopf. »Also gut.
Wenn’s dich glücklich macht. Ich werde ihn nicht wieder treffen.«
    Der Schlafwandler nickte gewichtig.
    »Aber du versprichst mir, dass du mir eines Tages
sagen wirst, weshalb.«
    Der Riese hob die Schultern.
    »Na schön«, stieß Moon hervor. »Wenn es für mehr
nicht reicht.« Er rappelte sich hoch und wankte aus dem Raum.
    In seiner Suite angelangt, zwang er sich – in
dem müßigen Versuch, den Auswirkungen des Alkohols zu begegnen –, drei
Gläser Wasser hinunterzustürzen, bevor er willenlos auf sein Bett fiel. In den
wenigen Sekunden, bevor er das Bewusstsein verlor, sah er, unfähig, sich zu
rühren, wie Skimpoles Mann ins Zimmer lugte, seinen Zustand erkannte und die
Tür leise wieder schloss. Moons letzter Gedanke galt der trunkenen Gewissheit,
dass die merkwürdigen Vorfälle, die seit Cyril Honeymans Sturz vom Turm sein
Leben ausfüllten, einem bestimmten Plan folgen mussten, dass irgendein noch unentdeckter
Zusammenhang sie alle miteinander verwob und dass sie wie mit einem
unsichtbaren Band verknüpft waren. Er konnte nur einen winzigen Teil davon
sehen – so als würde man den einzelnen Faden eines Spinnennetzes unter dem
Mikroskop betrachten –, aber er hatte das sichere Gefühl, er müsste nur
einen Schritt zurücktreten und würde aus dieser Entfernung einen
aufschlussreichen Überblick über das Gesamtbild erhalten. Er gab sich alle
Mühe, diese Idee festzuhalten, aber er war zu benebelt vom Schnaps, und so
hüpfte und zappelte sie wie eine Makrele am Haken und schlängelte sich davon;
schließlich gab er auf,

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