Das Albtraumreich des Edward Moon
sodass die Dunkelheit ihn umfangen konnte, um ihn nicht
mehr loszulassen.
In Newgate kam der Schlaf nicht so
leicht.
Barabbas stank, und das wusste er. Die Lage eines
Menschen ist wirklich ziemlich verfahren, wenn der infernalische Gestank der
eigenen Ausdünstungen so schlimm wird, dass er seinem Träger Brechreiz
verursacht. Owsley hatte Barabbas zahlreiche Begünstigungen verschafft, aber es
schien, dass ein anständiges Bad selbst über seine Möglichkeiten hinausging.
Barabbas gähnte, kratzte sich den zottigen Bart
und schlurfte unter seiner mächtigen Körpermasse die paar Schritte, die die
Ausmaße seiner Zelle zuließen. Jetzt, zu tiefster nächtlicher Stunde, war alles
ruhig – es war die einzige Zeit, in der das Gejohle und Gejammere der
Insassen erstarb. Die Nachbarzelle wurde gegenwärtig vom Mitglied einer
fundamentalistischen Methodistensekte bewohnt, einem Mann, der sich die Zeit
mit dem endlosen Hersagen des Vaterunsers vertrieb, gewürzt nur gelegentlich,
zwecks Abwechslung, mit einer kleinen Auswahl der bekannteren Psalmen. Der Mann
musste kurz vor Mitternacht eingeschlafen sein, erschöpft und heiser von den
Mühen des Tages, denn Barabbas hatte seit fast einer Stunde nichts mehr von ihm
gehört.
»Meyrick?«, zischte er. »Bist du da?«
Owsleys Gesicht tauchte zwischen den Stäben auf.
»Wie immer«, murmelte er im Tonfall einer geduldigen Mutter, die ein besonders
widerspenstiges Kind zu beruhigen sucht.
Barabbas seufzte – ein knatterndes,
knochentrockenes Geräusch. »Ich öde mich schrecklich an. Hast du eigentlich
eine Vorstellung davon, wie es mir hier drinnen ergeht? Diese elende, lähmende
Langeweile!«
Owsleys Stimme klang so unterwürfig wie immer.
»Ja, Sir. Das kann ich Ihnen nachfühlen.«
»Ein Mann von Geist und Verstand, gefangen in
einem Käfig, der nicht mal Tieren zugemutet werden kann! Ein funkelnder
Intellekt, der zusammengepfercht ist mit Verbrechern und der außer Warten
nichts zu tun hat! Es ist eine der großen Tragödien unserer Ära.«
»In der Tat, Sir.« Lag da eine Spur von
Resignation in Owsleys Stimme? Ein kurzes Lüften der Maske des Jüngers? Das
flüchtige Zutagetreten eines seit langem leidenden Mannes, ausgenutzt und
voller Groll? Vielleicht.
»Wann kommt Edward wieder?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Wenn er kommt, werde ich …«
»Ja, Sir? Was werden Sie tun?« Nicht mehr als eine
Nuance von Sarkasmus, kaum wahrnehmbar.
»Ich werde ihm alles sagen.«
Dies hatte eine unerwartete Wirkung auf Owsley;
eine abwägende Pause, und dann die sorgfältig formulierte Entgegnung: »Ich
würde eine solche Vorgangsweise nicht empfehlen.«
»Ich habe dich nicht um Rat gefragt!«, stieß
Barabbas hervor. »Zerbrich dir nicht meinen Kopf!«
Owsley, unbewegt und nachdrücklich: »Sie würden es
bereuen.«
»Du bist mein Geschöpf, mein Werkzeug! Vergiss das
nie!«
Aber sein Jünger antwortete nicht, und der
Gefangene vernahm nur die gedämpften Schritte, nachdem Owsley unauffällig
seinen Posten verlassen hatte und leise durch den Gang davontappte.
»Meyrick!«, schrie Barabbas, aber zu seinem
ohnmächtigen Ärger entschwanden die Schritte in der Ferne. »Meyrick!«, brüllte
er, verstört und gebrochen angesichts dieser unerklärlichen Pflichtverletzung.
»Komm zurück!«
Zu spät. Er hörte das entfernte Klappern der
Schlüssel und den lauten gleichgültigen Hall des Eisentors, als Owsley das
Innere des Gefängnisses verließ, um in die Außenwelt zurückzukehren.
»Meyrick!« Barabbas rüttelte in ohnmächtiger
Verzweiflung an den Gitterstäben der Zelle und warf sich dann, den Tränen nahe,
auf den Steinboden. Er vernahm ein lautes Rascheln aus der Nachbarzelle –
danach ein Ächzen, unbeholfene Schritte und gleich darauf die ersten,
wohlbekannten Worte von Psalm 130: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu
Dir …«
In Madame Puggsleys Etablissement
entschloss man sich nach zwölfstündigem anstrengendem Geschäftsgang, es für
heute gut sein zu lassen. Das fahrende Volk war zusammen mit seinen Karussells
und menschlichen Kuriositäten weitergezogen (wie man zuletzt hörte, irgendwo in
die Nähe von Darlington, wo die Ortsansässigen ihr Eintreffen mit einigem
Misstrauen quittiert hatten), mit spürbaren Auswirkungen auf Mrs Puggsleys
Haus, das zu ihrer großen Freude nun wieder voll war. Nach Mina – dem
erklärten Liebling aller – hatte den ganzen Tag lebhafte Nachfrage
geherrscht, und nachdem sie den letzten Freier des Abends
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