Das Albtraumreich des Edward Moon
soweit es geht.«
Charlotte hielt ihr ein gefaltetes Blatt Papier
hin. »Würden Sie auch dafür sorgen, dass mein Bruder dies hier bekommt?«
»Sie verlassen uns?« Mrs Grossmith klang nicht
über Gebühr enttäuscht von dieser Aussicht. »Könnten Sie nicht noch ein
Stündchen bleiben? Mister Moon wird bald zurück sein, und ich bin sicher, er
würde sich gern persönlich von Ihnen verabschieden.«
»Es ist besser, ich gehe jetzt gleich.«
»Wenn Sie meinen.«
»Ja, das meine ich.«
»Darf ich Sie etwas fragen?« Mrs Grossmith
zögerte. »In all den Jahren, die ich nun schon für Mister Moon arbeite, hat er
Sie kein einziges Mai erwähnt. Ich möchte nicht indiskret erscheinen,
aber …«
»Aber Sie wollen den Grund dafür wissen?«
»Nun ja …«
»Mein Bruder und ich haben ein ungewöhnliches
Verhältnis zueinander. Wenn wir zu lange zusammen sind, pflegen sich
unweigerlich gewisse Dinge zu ereignen – Dinge, bei denen man vorzöge, sie
würden sich nicht ereignen, wenn Sie verstehen.«
»Nein. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht.«
»Glauben Sie mir, es ist für uns beide das beste,
wenn wir voneinander getrennt sind und es bleiben.« Charlotte wandte sich zum
Gehen. »Adieu, Mrs Grossmith, Mister Barge.«
Arthur bemühte sich um ein linkisches kleines
Winken zum Abschied, während Charlotte bereits mit festen Schritten den Raum
verließ.
»Seltsames Mädchen, nicht wahr?«
»Habe ich gar nicht bemerkt«, sagte Barge. »Habe
die andere Dame in der Küche angesehen. Diejenige, der mein Herz gehört.« Er
streckte die Hand nach ihr aus, aber Mrs Grossmith schob sie energisch weg.
»Später«, sagte sie und verwahrte Charlottes
Briefchen sorgfältig im Ärmel ihres Hauskleids. »Vor dem Schlafengehen sind
noch reichlich Teller zu waschen.«
Mister Honeyman sah noch genauso aus,
wie Moon ihn im Gedächtnis hatte – ein eigensinniger Mann mit grauer Haut
und einer immerzu gequälten Miene. Doch diesmal wirkte er beherzter, was
vermutlich auf die Abwesenheit jener Medusa zurückzuführen war, die er seine
Ehefrau nannte.
Kaum hatte man Moon und Merryweather zu ihm
geführt, fing er auch schon an zu nörgeln. »Ich glaube mich daran zu erinnern,
auf einem offiziellen Ermittlungsbeamten bestanden zu haben!«, bellte er, wobei
er Moon böse ins Auge fasste.
Merryweather tat sein Bestes, ihn zu
beschwichtigen. »Ich kann für Mister Moons Vertrauenswürdigkeit bürgen, Sir. Er
half mir öfter aus der Klemme, als ich wahrhaben möchte, und ich will durchaus
kein Hehl daraus machen, dass heute eine beträchtliche Anzahl Bösewichter
hinter Gittern ist, die ohne seine Unterstützung auf freiem Fuß wäre.«
»Was Sie nicht sagen!«, unterbrach ihn Honeyman
barsch. »Inspektor, ich habe Sie nicht in mein Heim gebeten, damit Sie hier
herumstehen und Lobreden auf diesen Dilettanten halten! Außerdem wird nach
meiner Auffassung Mister Moon infolge dieses bedauerlichen Zwischenfalls in
Clapham keineswegs mehr als so unfehlbar betrachtet wie zuvor.«
»Ich bitte um Vergebung, Sir«, sagte der Inspektor
mit sanfter Stimme und wechselte das Thema. »Ich möchte Sie keineswegs drängen,
Sir, aber könnten Sie uns ein wenig mehr über die Umstände berichten, unter
denen das Verschwinden Ihrer Gattin stattgefunden hat. Versuchen Sie sich so genau
wie möglich zu erinnern. Alles könnte von Bedeutung sein. Was Ihnen als
unwichtige Einzelheit erscheinen mag, könnte sich für das geschulte Auge eines
Polizisten als entscheidender Hinweis entpuppen.«
»Ich erwachte früh am Morgen«, berichtete Honeyman
steif. »Gegen sechs Uhr, wie es meine Gewohnheit ist. Marschiere gern durchs
Gelände, Sie verstehen. Bewundere meinen Fischbestand. Und da war sie weg. Ganz
einfach weg. Hatte eine Reisetasche genommen und war auf und davon. Niemand von
der Dienerschaft hat sie gesehen.«
»Ist sie Ihrer Meinung nach freiwillig gegangen?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Die Reisetasche würde eine Entführung wohl
ausschließen«, stellte Merryweather fest. »Finden Sie nicht, Mister Moon?«
Der Magier und Detektiv gähnte, gelangweilt von
der – wie erwartet schleppenden – polizeilichen Vorgangsweise.
»Mister Honeyman«, fuhr der Inspektor hartnäckig
fort, »haben Sie irgendeine Vorstellung, wohin sich Ihre Gattin gewendet haben
könnte?«
»Nicht die geringste. Hier war doch der
Mittelpunkt ihres Lebens! Ich mache mir Sorgen, dass sie etwas …
Unbedachtes getan haben könnte.«
»Verzeihen Sie«, schaltete sich
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