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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Organisation, einer dramatischeren Zeit, einer Ära von
Mord und Totschlag. Und schon seit dem Tode der Königin hegte Skimpole die
Hoffnung, dass sich die Auswüchse der Vergangenheit nicht im neuen Jahrhundert
fortsetzen würden. Seinem Gefühl nach sollte eine Geheimorganisation (so sie
überhaupt einen Namen tragen musste) alles daransetzen, so alltäglich und
unauffällig wie nur irgend möglich zu klingen – und sich jedenfalls nicht
mit einer Benennung wie ›das Direktorium‹ schmücken, was sich anhörte, wie aus
einem billigen Roman stammend, und den Geruch nach Dünkel und Großspurigkeit
verströmte. Dedlock hingegen hatte den Namen stets aus ganzem Herzen gutgeheißen,
denn er betrachtete sich selbst definitiv als einen Mann, der auf dem Boden von
Dünkel und Großspurigkeit blühte und gedieh.
    Es war schon spät an diesem Tag, und sie saßen
beide an ihren gewohnten Plätzen am großen runden Tisch. Dedlock arbeitete sich
verbissen durch eine Flasche Wein und Skimpole durch eine Reihe unerhört
ausführlicher Überwachungsprotokolle.
    »Fast wie in alten Zeiten«, bemerkte Dedlock in
geselliger Anwandlung.
    »Wie das?«
    »Du steckst hinter den Lehrbüchern fest, während
ich verschwinde, um mir ein Glas zu genehmigen.«
    »Ich will nicht darüber sprechen.«
    »Es ist, als wären wir wieder in der Schule, nicht
wahr?«
    »Ich sagte, ich möchte nicht darüber sprechen!«
    »Entschuldige.«
    Der Albino widmete sich wieder seiner Arbeit, nur
um gleich wieder unterbrochen zu werden.
    »Hör um Gottes willen auf zu schmollen,
Skimpole!«, rief Dedlock. »Du redest nie über die alten Zeiten.« Nach dem
Genuss von drei Vierteln einer Flasche schien er wehmütigen Gedanken nachhängen
zu wollen.
    Skimpole knallte seine Berichte auf den Tisch.
»Was gibt es Neues von Madame Innocenti?«, fragte er, indem er Dedlocks Lust
auf sentimentale Rückblicke demonstrativ überging.
    »Zuletzt wurde sie in New York gesichtet. Und
danach – pffft – verschwunden.«
    »Verdammt.«
    »Du bist der Meinung, dass bei ihr alles mit
rechten Dingen zuging?«
    »Meine Meinung ist nicht ausschlaggebend. Aber
wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass sie echt war – und offen
gesagt, kann ich nicht glauben, dass es sich bei all den Informationen, die sie
uns gab, nur um eine Kette von Glückstreffern gehandelt hat –, dann ist
der allerletzte Ort, an dem ich sie wissen möchte, New York! Eine Macht wie
diese in den Händen der Amerikaner ist unvorstellbar.«
    Mackenzie-Cooper tauchte aus dem Hintergrund auf
wie üblich maskiert als chinesischer Metzger. »Wollen Glas, Saa?«, fragte er
mit seinem lachhaften Akzent. Der Albino lehnte mit einer ärgerlichen
Handbewegung ab.
    »Du solltest es machen wie ich«, sagte Dedlock.
»Der Wein ist überraschend gut.«
    »Viel zu früh für mich.« Skimpole wandte sich an
Mackenzie Cooper. »Also dann, eine Tasse Tee für mich.«
    Der Mann verbeugte sich und verschwand wieder in
den hinteren Teil des Raumes. Zu diesem Zeitpunkt bemerkte es zwar keiner
seiner beiden Vorgesetzten, aber er schien reichlich nervös. Dedlock sollte
später behaupten, er hätte gesehen, dass die Hände des Mannes zitterten und
bebten, aber diese Einzelheit fiel ihm erst nach etlichen Monaten ein –
und obendrein, was irgendwie befremdlich anmutete, ausgerechnet bei einer
Abendgesellschaft.
    »Und was treibt Mister Moon?«, erkundigte sich
Dedlock.
    »Er verfolgt eine Spur im Fall Honeyman. Er ist
immer noch davon überzeugt, dass es da eine Verbindung gibt.«
    »Und? Siehst du das auch so?«
    »Mittlerweile habe ich gelernt, seinem Instinkt zu
trauen.«
    Dedlock kratzte geistesabwesend an seiner Narbe.
»Er ist dein Mann«, sagte er dann. »Ich werde sicher nicht versuchen, mich
einzumischen. Wenn Madame Innocenti recht hatte, dann bleiben uns nur mehr vier
Tage.«
    »Daran brauchst du mich wirklich nicht zu
erinnern.«
    »Ich habe überlegt, meine Familie aus der Stadt zu
bringen. Du verstehst: bevor es passiert. Hast du schon irgendwelche
Vorkehrungen getroffen?«
    Noch ehe Skimpole antworten konnte, kam
Mackenzie-Cooper mit einer großen Teekanne an den Tisch. Er goss ihm eine Tasse
ein und bot daraufhin Dedlock das gleiche an, wobei er in einem deutlich
bestimmteren Ton, als einem Untergebenen zukam, die Wirksamkeit des Getränks
bei der Bekämpfung der Folgen übermäßigen Weingenusses unterstrich.
Widerstrebend willigte Dedlock ein, und so stand flugs eine Tasse des
belebenden Gebräus

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