Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
Protest an, doch
Owsley drehte sich um und schritt davon; der dünne Zopf, der zumeist schlaff
vom hintersten Rand seines im übrigen kahlen Schädels baumelte, hüpfte albern
auf und ab.
    Charlotte und ihr Bruder verspürten
Erleichterung, als sie Newgate hinter sich ließen und den Rückweg zum Hotel
antraten. Sie gingen eine Weile nebeneinander her, ehe einer von ihnen das Wort
ergriff.
    »Er war nicht ganz so, wie du es erwartet hast,
oder?«, fragte Moon die Schwester.
    »Ich wusste, dass er sich verändert hat, und ich
weiß auch, was er getan hat. Und so dachte ich, ich würde dem Bösen ins Gesicht
sehen. Aber ich hatte nur Mitleid mit ihm. Und du? Hast du ihm vergeben?«
    »Da ist nichts zu vergeben«, antwortete Moon
tonlos.
    »Ihr wart doch Freunde.«
    »Aber ich gebe nicht
ihm
die Schuld.«
    »Dennoch trägt er einige Verantwortung«, beharrte
sie.
    Keine Antwort.
    »Es tut mir leid«, sagte Charlotte. »Dumm von
mir.«
    Immer noch nichts.
    »Hast du … hast du versucht, an seine guten
Seiten zu appellieren? Ihn bei seinem alten Namen genannt?«
    »Du hörtest doch selbst, was er sagte!«
    »Es scheint, Skimpole will nichts mehr mit ihm zu
tun haben«, bemerkte sie.
    »Verständlich. Er kann nicht den Anschein
erwecken, für solche Verirrungen verantwortlich zu sein.«
    »Glaubst du, dass er etwas weiß?«
    »Dessen bin ich ganz sicher.«
    »Was sollte die Sache mit dem Buch? Schien mir ein
sehr eigenartiges Geschenk zu sein.«
    »Ich denke, er hat uns damit einen Hinweis
gegeben. Wohin der führt, weiß ich allerdings nicht.«
    »Darf ich es sehen?«
    Moon reichte ihr das Büchlein, und Charlotte
klappte es auf. »Da ist eine Widmung«, stellte sie fest. »
›Meinem lieben
Gillman, in tiefer Dankbarkeit und Zuneigung.‹
Unterzeichnet ist es
›STC‹

    »Coleridge«, murmelte Moon. »Lieber Himmel. Das
muss ihm persönlich gehört haben. Ein Vermögen wert.«
    »Und was soll das bedeuten? Weshalb hat er es dir
gegeben?«
    »Hätte Owsley uns doch nicht unterbrochen! Ich bin
überzeugt, er wollte uns gerade etwas Wichtiges mitteilen. Er sagte, man wäre
an ihn herangetreten. Erwähnte irgendein Verschwinden. ›Frag den Mann‹, sagte
er … Warum ergibt das alles keinen Sinn?«
    »Edward«, seufzte Charlotte bedrückt, »wenn
du
keinen Sinn darin erkennen kannst, dann weiß ich nicht, ob irgendjemand anders
dazu imstande ist.«
    »Ich bin sehr froh, dass du zurückgekommen bist«,
stellte Moon unvermittelt fest. Dann fügte er zaghaft hinzu: »Wirst du
bleiben?«
    »Du weißt, dass das nicht geht.«
    Noch ehe er etwas erwidern konnte, waren sie beim
Hotel, vor dem schon ein alter Freund wartete.
    »Mister Moon!«
    Der Magier und Detektiv brachte ein höfliches
Lächeln zustande. Er deutete auf den unerwarteten Besucher. »Charlotte, das ist
Speight. Ein Freund, noch aus Theaterzeiten. Ein früherer Untermieter, könnte
man sagen.«
    »Sehr erfreut!«
    Der Landstreicher kniff die Augen zusammen und
machte eine unsichere Verbeugung. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite.« Er
ergriff Charlottes Hand und küsste sie, und die junge Dame hatte diesmal,
anders als bei ihrer Begegnung mit dem ›Unhold von Newgate‹, den Anstand, nicht
zurückzuzucken.
    Sie bemerkte die schwere Holztafel, die auf
wackeligen Stützen neben ihm lehnte.
    JA, ICH KOMME BALD
OFFENBARUNG 22.20
    »Was bringt Sie her?«, fragte Moon so
artig wie möglich und griff unauffällig nach seiner Brieftasche.
    »Ich komme, um Ihnen zu danken«, winkte Speight
ab. »Es gibt nicht viele Menschen, die mich die ganze Zeit ertragen hätten, so
wie Sie.«
    Moon sah ihn verblüfft an. »Das ist doch gern
geschehen.«
    »Ich gehe jetzt weg.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Man braucht mich. Sie wollen mich abholen.«
    »Sie meinen, Sie haben ein Zuhause gefunden?
Jemanden, der sich um Sie kümmert?«
    Speight überlegte einen Augenblick lang. »Ja«,
nickte er und wirkte überrascht von seiner eigenen Antwort, »ja, so könnte man
sagen.«
    »Nun, es war schön, Sie wiederzusehen …«,
begann Moon und wollte auf den Hoteleingang zusteuern.
    »Ich bin gekommen, um Ihnen dies hier zu geben.«
Speight griff nach der Holztafel und hielt sie Moon hin. »Hier. Sie gehört
Ihnen.«
    »Wie bitte?«
    Aber es war zu spät, Speight hatte ihm schon die
Tafel in die Hände gedrückt und ging eiligen Schrittes davon.
    »Danke!«, rief er von weitem zurück. »Ich danke
Ihnen!«
    Moon schüttelte verwirrt den Kopf. »Was, zum
Teufel, soll ich mit dem

Weitere Kostenlose Bücher