Das Albtraumreich des Edward Moon
Ding?«
»Ich mag deine Freunde«, versicherte ihm Charlotte
schelmisch, als sie das Hotel betraten. »Sie sind … ungewöhnlich.«
Sie gingen direkt in Moons Suite, wo Mrs Grossmith
sie empfing, ihren langen, dünnen Galan an ihrer Seite.
»Sie haben einen Besucher«, verkündete sie. »Er
wartet schon seit fast einer Stunde.«
»Ich habe ihn gerade getroffen«, erwiderte Moon
barsch. »Mister Speight, nicht wahr?«
Mrs Grossmith schniefte abfällig. »Den würde ich
nie reinlassen. Nur in Ausnahmefällen. Nein, nein, eine ganz andere Kategorie
von Gentleman. Der Inspektor.«
Moon wandte sich an seine Schwester. »Was meintest
du soeben über meine Freunde?«, fragte er, und wie auf ein Stichwort schoss
Merryweather durch eine Tür, begleitet von schallendem Gelächter jener Art, wie
man sie für gewöhnlich vernimmt, wenn man einen Groschen in bunte Blechmännchen
einwirft, die an den Promenaden langweiliger Seebäder herumstehen. Der
Schlafwandler schlenderte hinter dem Inspektor her; beide Männer hatten halb
geleerte Gläser mit Milch in der Hand.
»Also, ich muss schon sagen«, tönte Merryweather,
als das Händeschütteln und Vorstellen erledigt war, »das hier ist ohne Zweifel
eine Verbesserung im Vergleich zu Ihren früheren Wohnverhältnissen!«
»Und ich verabscheue es«, ergänzte Moon
gleichmütig.
»Was soll dieses Schild, das Sie da tragen? Kommt
mir bekannt vor.«
»Es hat keine Bedeutung.« Moon stellte das Ding
neben der Tür ab. »Nun, darf ich Ihr Hiersein als reinen Höflichkeitsbesuch
betrachten?«
»Leider nicht«, antwortete der Inspektor düster.
»Sie erinnern sich an den Honeyman-Fall?«
»Natürlich.«
»Sieht ganz danach aus, als müsste ich Sie um
Entschuldigung bitten. Sie hatten recht, Mister Moon, und ich hatte unrecht.
Der Fall ist nicht ganz so geschlossen, wie ich annahm.«
Plötzlich war Moon hellwach. »Was ist passiert?«
»Die Mutter des Mannes …«
»Sagen Sie schon!«
Merryweather räusperte sich. »Also, es geht um Mrs
Honeyman«, sagte er. »Sie ist verschwunden.«
DREIZEHN
Mrs Grossmith beugte sich über die Spüle
in der Küche und beschäftigte sich emsig mit den letzten Tellern des Tages.
Braunes Seifenwasser schwappte fettig über ihre Handgelenke.
Arthur Barge schlich sich ungewohnt verstohlen an
sie heran und schmiegte sich traulich an ihre üppig bestückte Hinterseite;
schweigend strich er über ihre schon etwas schlaffen Wangen, strich eine
verirrte Haarsträhne zur Seite und verschränkte seine leicht zerknitterten
Hände mit den ihren. Sie sagte nichts, aber er konnte unter sich spüren, wie
sie voll geheimer Lust vibrierte. Ungeschickt und außer Übung nach Jahren des
Junggesellendaseins bemühte er sich, seinen Mund an ihrem Ohr vorbei so weit nach
vorn zu manövrieren, dass er auf den ihren traf.
Sie machte einen halbherzigen Versuch, ihn von
sich wegzuschieben, und murmelte etwas über den Abwasch, ließ sich aber bald
von seiner Leidenschaft, seinen Lippen und von seiner flinken, heftig
forschenden Zunge zum Verstummen bringen. Erst zaghaft und behutsam, doch mit
zunehmender Selbstsicherheit und wachsendem Tatendurst pressten sie sich selig
immer enger aneinander. In einer Umarmung erstarrt, küssten sie sich lang und
gierig wie zwei vorsintflutliche Echsen, die auf den glutheißen Ebenen des
urzeitlichen Afrika ein letztes Mal zur Paarung ansetzten.
Dies jedenfalls war das pittoreske Bild, das
Charlotte Moon unwillkürlich vor Augen hatte, als sie in der Tür innehielt und
die beiden betrachtete. Sie räusperte sich so laut wie möglich, und prompt
schnellten die beiden auseinander wie Figuren in einer Posse. Mit hektisch
geröteten Wangen senkte Mrs Grossmith verschämt und ganz benommen den Kopf,
während Barge einfach nur stumm dastand, ein dümmliches Grinsen auf dem Gesicht
wie ein Schuljunge, dessen schlechtes Gewissen in Wahrheit nur gespielt ist,
weil er im tiefsten Inneren stolz darauf ist, bei seiner Missetat ertappt
worden zu sein.
»Mrs Grossmith«, sagte Charlotte eisig. »Verzeihen
Sie die Störung.«
»Entschuldigen Sie, Miss.« Die Haushälterin strich
sich die Schürze glatt und deutete einen unbeholfenen Knicks an. »Ich dachte,
Sie wären ausgegangen, zusammen mit Ihrem Bruder und dem Polizisten.«
Charlotte überging die Bemerkung. »Weshalb waschen
Sie das Geschirr? Das gehört doch wohl zu den Pflichten des Hotelpersonals!«
»Ich habe die Verantwortung für Mister Moon. Ich
sorge lieber selbst für ihn,
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