Das Albtraumreich des Edward Moon
auch neben der Weinflasche.
Während Mackenzie-Cooper Dedlock eingoss, nahm
Skimpole schon einen Schluck aus seiner eigenen Tasse und runzelte die Stirn:
viel zu viel Zucker. Dennoch trank er weiter, einen kräftigeren Schluck
diesmal, dessen maßlose Süße ihm einen lustvollen, wenngleich ein wenig
schuldbewussten Sinnengenuss bescherte.
Dedlock beugte sich zu dem falschen Chinesen. »Ist
alles in Ordnung, alter Junge? Sie wirken heute ganz anders als sonst.«
Erschrocken riss Mackenzie-Cooper die Teekanne an
sich, wobei sich ein großer Teil des Inhalts auf den Tisch ergoss.
»Velzeihung, Saa«, murmelte er und suchte fieberhaft
in seinen Taschen nach etwas, um die Pfütze aufzuwischen. »Velzeihung.«
»Kein Grund, sich so darüber aufzuregen, Mann. War
nur ein Missgeschick.«
Schließlich zog Mackenzie-Cooper ein Geschirrtuch
hervor, doch als er sich vorbeugte, um die Teepfütze zu entfernen, gelang es
ihm, das Weinglas seines Vorgesetzten umzuwerfen. Dedlock fluchte, als Tee- und
Weinbächlein über den Tisch liefen und sich zu einem Wasserfall in Richtung
Boden vereinten.
»Velzeihung, Saa! Velzeihung!« Unter seiner
Schminke und der Maskierung hatte Mackenzie-Cooper zu schwitzen begonnen.
Dedlock wollte das Vergossene rasch vom Tisch
wischen, doch gerade als er die Hand ausstreckte, bemerkte er etwas höchst
Sonderbares: Dort, wo Wein und Tee miteinander in Berührung kamen und sich
vermischten, schienen die Flüssigkeiten ein wenig zu sprudeln, zu brodeln und
zu dampfen – eine unnatürliche Reaktion, wie ihm schien.
Mackenzie-Cooper sah es auch. Eine Sekunde lang
starrten die beiden einander mit offenem Mund an – der eine erschrocken
darüber, dass ihn ein so unbedeutendes Missgeschick auffliegen ließ, während
der andere entsetzt zu begreifen suchte, was sich vor seinen Augen abspielte.
Mackenzie-Cooper schleuderte die Kanne zu Boden,
wo das teure Porzellan mit ohrenbetäubendem Krachen zersplitterte, und rannte
zum Ausgang. Dedlock sprang (mit verblüffender Gelenkigkeit für einen Mann
seines Alters) auf und stürmte hinter ihm her – und das alles in einer
einzigen, verwischten Bewegung. Mackenzie-Cooper jaulte auf, als ihn Dedlock,
noch bevor er die Tür erreichte, wie ein alter Rugbyspieler stoppte, zu Boden
riss und dort festnagelte.
»Warum?«, knurrte Dedlock. Mackenzie-Cooper sagte
nichts, nur seine Blicke schossen angstvoll von einer Seite zur anderen.
Dedlock schlug ihm hart ins Gesicht. »Warum?«,
wiederholte er. Der Mann sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen
ausbrechen. Ein weiterer Schlag. »Warum?«
Da verzerrte sich Mackenzie-Coopers Gesicht, er
stieß ein würgendes Gurgeln hervor und begann zu sabbern wie ein zahnender
Säugling. Dedlock starrte ihn an. »Was ist los?«
Als ihm klar wurde, was das zu bedeuten hatte, war
es zu spät. Mackenzie-Cooper verzog wieder das Gesicht, schluckte hart und
erzitterte wie von einem kurzen Krampf geschüttelt. Seine Wangen überzogen sich
mit dunkelroten Flecken, während weiße Schaumbläschen zwischen seinen Lippen
aufstiegen. Sekunden später schien sein Körper in sich zusammenzufallen, er
wand sich, zuckte ein paarmal und blieb dann reglos liegen. Mit einem lauten
Brüllen machte Dedlock seinem ohnmächtigen Zorn Luft, stieß den Toten zur Seite
und stand schwankend auf.
»Zyankalikapsel«, erklärte er –
überflüssigerweise, wie Skimpole fand. Er tauchte eine Fingerspitze in die
Pfütze auf dem Tisch und roch ausgiebig daran. »In der Kanne war genug Gift, um
uns beide zu töten«, stellte er fest. »Wie viel hast du getrunken?«
»Gar nichts«, log Skimpole.
»Bist du sicher?«
»Natürlich«, antwortete der Albino hastig. »Ich
habe nichts davon getrunken.«
Dedlock nickte geistesabwesend.
Skimpole blickte hinab auf den verkrümmten
Leichnam. »Sagtest du nicht, er käme direkt von der Universität in Oxford?«
Dedlock beugte sich über den Toten und zog dem
Mann Stück für Stück die Maskierung vom Gesicht; zum Vorschein kam nicht der
junge, noch unerfahrene Absolvent einer Eliteschule, den sie erwartet hatten,
sondern ein kahlköpfiger Fremder mittleren Alters – schlaff und verfallen.
»Irgendwie habe ich jetzt doch meine Zweifel an
Eton«, sagte Dedlock.
Möglicherweise interessiert es Sie,
dass der wahre Mackenzie-Cooper – ein echter, umgänglicher Eton-Absolvent
mit einem viel zu vertrauensseligen Naturell, um als Mitarbeiter des
Direktoriums erfolgreich zu sein – drei Tage später in
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