Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
einem versperrten
Badezimmer einer der verkommensten Herbergen der Stadt entdeckt wurde; sein
Schädel war eingeschlagen, und seine erstarrten Gesichtszüge verrieten nichts
als blankes Entsetzen. Also kein glückliches Ende für ihn.
    »Wer ist das?«
    »Du erkennst ihn nicht?«, fragte Skimpole
überrascht.
    »Klär mich auf.«
    »Declan Slattery. In der Vergangenheit Spitzel
einer irischen Untergrundorganisation, bis er sich vor einigen Jahren
selbständig machte. So etwas wie eine Legende auf seinem Gebiet. Aber seine
beste Zeit hat er längst hinter sich. Ziemlich verbraucht, der Mann. Muss seit
Ewigkeiten das erste Mal sein, dass ihm wieder jemand einen Auftrag gegeben
hat!«
    »Aber wer?«, fragte Dedlock. »Wer möchte uns tot
sehen?«
    Skimpole zuckte die Achseln. »Ich hätte eine lange
Liste anzubieten.«
    Die Kirche des Sommerkönigreichs wurde
von einem kleinen Büro im dritten Stock eines Gebäudes am Covent Garden aus
geführt, in dem es nach Staub und schlechtem Atem roch. Merryweather, Moon und
der Schlafwandler wurden von einem Mann in Empfang genommen, dessen
gutmütig-derbes, stark gerötetes Gesicht besser in eine Schankstube denn auf
eine Kanzel zu passen schien.
    »Donald McDonald«, sagte er, streckte ihnen eine
fleischige Pranke entgegen und kniff ein Auge zusammen, ehe er hinzufügte:
»Mütterchen hatte eine humorvolle Ader.«
    Moon durchbohrte ihn mit einem abfälligen Blick,
und er zog die Hand zurück. Ungeschüttelt.
    »Worum geht es, meine Herren?«
    »Wir möchten uns mit Ihnen über ein Mitglied Ihrer
Gemeinde unterhalten«, sagte Merryweather. »Eine Mrs Honeyman.«
    »Ich bin so froh, dass endlich jemand etwas unternimmt!
Wir machen uns die größten Sorgen! Ich bin schon völlig außer mir deswegen!«
    Der Inspektor holte sein Notizbuch hervor. »Wie
oft haben Sie sie gesehen?«
    »Sie war eines unserer eifrigsten Mitglieder. Eine
der Hauptstützen unserer kleinen Kirchengemeinde. Einer der Eckpfeiler, könnte
man sagen.«
    »Verzeihen Sie, wenn ich frage –«,
Merryweather kritzelte ohne Unterlass, »– aber wie genau stehen Sie in
Beziehung zu dieser Kirche?«
    »Oh, ich bin nichts Besonderes.« McDonalds
Bescheidenheit wirkte wenig überzeugend. »Ich betätige mich gelegentlich als
Laienprediger … helfe aus, wo ich gebraucht werde … unterstütze
unseren Pastor in seinen guten Taten.«
    »Und wer ist das?«
    »Ja, von Rechts wegen sollten Sie eigentlich mit
ihm sprechen. Unser Führer, Sir. Unser Hirte. Reverend Doktor Tan.«
    Pflichtbewusst notierte Merryweather den Namen.
»Wann können wir mit diesem Tan reden?«
    »Er ist gegenwärtig nicht in der Stadt. Ich bin
ein schwacher Ersatz, ich weiß, aber Sie müssen leider mit mir vorlieb nehmen.
Übrigens muss ich mich für den Zustand unseres Büros entschuldigen;
üblicherweise sind wir ordentlicher.«
    Merryweather hatte die dicke Staubschicht bereits
bemerkt und enthielt sich taktvoll jeglichen Kommentars. »Und wo befindet sich
Ihre Kirche, Sir? Die Gottesdienste werden doch gewiss nicht hier abgehalten.«
    »Oh …« Die Frage schien McDonald zu
irritieren. »Wir verrichten unsere Andacht … nicht weit von hier.«
    Moon hatte genug vom ständigen Hin und Her des
Gesprächs und widmete sich der Erforschung des Raums; in unverhohlener Neugier
schnüffelte er frech zwischen Bücherschränken, Regalen und Vitrinen herum. Über
der Tür hing ein Kreuz, und darunter befand sich eine unauffällige Tafel, die
eine schwarze Blume mit fünf Blütenblättern zeigte. Daneben standen die Worte:
»Wenn ein Mann im Traum durchs Paradies wandern könnte und erhielte eine Blume
zum Beweis, dass seine Seele tatsächlich dort gewesen war, und er fände diese
Blume beim Erwachen in seiner Hand – was dann?«
    Donald McDonald trat zu Moon. »Ich sehe, Sie haben
unser Motto entdeckt.«
    »Motto? Ich fürchte, mir entgeht die Bewandtnis,
die es damit auf sich hat.«
    »Das Paradies, Mister Moon! Elysium. Der Zustand,
nach dem wir alle streben.«
    »Das stammt aber nicht aus der Heiligen Schrift.«
    »Natürlich nicht! Es stammt von S.T. Coleridge.
Der hochwürdige Doktor Tan ist ein großer Bewunderer von ihm. Unsere Kirche
verehrt ihn und seine Werke.«
    »Coleridge?«, wiederholte Moon ungläubig. »Darf
ich fragen, welche Art von Kirche einen weltlichen Dichter verehrt?«
    McDonald lächelte selbstgefällig. »Zweifellos
finden Sie das seltsam. Das tun viele. Doch ich kann Ihnen versichern, dass
jeder, der einige Zeit bei uns

Weitere Kostenlose Bücher