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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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verbringt, früher oder später unsere Einstellung
schätzen lernt.«
    »Die Blume unter dem Kruzifix«, begann Merryweather
in dem Versuch, sich wieder ins Gespräch einzubringen. »Was soll sie
darstellen?«
    »Ein Motiv, das wir uns aus der griechischen
Mythologie angeeignet haben.« Donald McDonald brachte einen entrückten
Gesichtsausdruck zustande. »Die unsterbliche Blume, die im Paradies für alle
Dichter erblüht.
Der Amarant.
«
    »Und was ist Ziel und Zweck des Ganzen?«,
herrschte Moon ihn an. »Womit beschäftigt ihr Leute euch eigentlich?«
    »Wir sind Missionare.«
    »Missionare? In Covent Garden?«
    »Der hochwürdige Doktor Tan sieht keinen Grund,
England zu verlassen, solange es vor unserer Haustür so viel geistige Armut
gibt, so viel Leid und Elend. London hat größeren Bedarf am reinigenden Licht
der Offenbarung als selbst die finstersten Winkel des Kongo. Wir erledigen
unsere Aufgabe unter den Vergessenen, unter jenen, die, von der Stadt
fallengelassen, in den Vierteln der Armen und Hoffnungslosen verrotten.«
    »Wir haben genug gehört.« Moon drehte sich elegant
auf dem Absatz um und schritt entschlossen zur Tür. »Kommen Sie, Inspektor.«
    »Sie werden es uns doch wissen lassen, sollten
sich irgendwelche neuen Erkenntnisse ergeben, nicht wahr?« McDonalds Stimme
troff vor falscher Sorge, geheuchelter Anteilnahme. »Ich schließe Mrs Honeyman
in meine Gebete ein.«
    Der Inspektor folgte Moon nach draußen. »Habe ihm
kein Wort geglaubt«, sagte er, als sie auf der Straße standen. »Der Mann weiß
mehr, als er sagt. Was denken Sie?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, gestand Moon. »Diese
jüngste Entwicklung kam etwas unerwartet, muss ich zugeben.«
    »Was sollte diese Sache mit der Tafel unter dem
Kruzifix?«
    »Coleridge«, erklärte Moon unergründlich.
    »Hat es damit irgendetwas Bedeutungsvolles auf
sich?«
    »Sind Sie ein Liebhaber der poetischen Dichtung,
Inspektor?«
    »Habe seit der Schulzeit keine Zeile davon zu
Gesicht bekommen.«
    »Dann haben Sie heute wenigstens eine wertvolle
Lektion gelernt.«
    »Und welche?«
    »Lesen Sie mehr!«
    Spät abends, in den Schlaf gesungen vom
rhythmischen Schnarchen seiner Frau, sollte Inspektor Merryweather, gerade als
er am Hinwegdösen war, eine schlagfertige Entgegnung auf Moons Bemerkung
einfallen. Doch leider würde der Augenblick dann Vergangenheit sein und ihm
selbst nichts anderes übrigbleiben, als sich zur Seite zu drehen und auf
angenehme Träume zu hoffen.
    Jetzt hingegen schien Moon aufgeregt. »Haben Sie
die Blume unter dem Kreuz wiedererkannt?«
    »Schien mir ziemlich nichtssagend.«
    »Das gleiche Symbol fiel uns am Wohnwagen des
Fliegenmenschen auf!«
    Merryweather hob die Schultern. »Zufall?« Er blickte
um sich. »Übrigens, vergessen Sie nicht jemanden?«
    »Wen?«
    Er grinste. »Den Schlafwandler.«
    Bedauernd stellte Mister Skimpole seine
vierte leere Teetasse hin; es ging ihm durch den Sinn, dass das leise Klingeln,
wenn sie in die dafür vorgesehene Vertiefung auf der Untertasse glitt, eine der
kleinen, aber vollkommensten Freuden des Lebens war. Das Geräusch hatte etwas
unfassbar Wohltuendes an sich, etwas Beruhigendes, Warmes und sehr Britisches.
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie nicht sagen können, wann er zurückkommt?«
    Bei der Frage verspürte Mrs Grossmith den völlig
uncharakteristischen Drang, ihre geballte Wut und Ohnmacht in einem gellenden,
schrillen Schrei loszulassen – einerseits verursacht durch die verfluchte
Hartnäckigkeit des Albinos, doch zum größten Teil durch die lebenslang
aufgestaute, beflissene Willfährigkeit gegenüber den Marotten von Männern, die
einem die Galle hochkommen ließen. Doch sie hielt sich zurück. »Nein«, sagte
sie und gab sich Mühe, ihren Ärger nicht zu zeigen. »Ich habe keine Ahnung, wo
er ist und wann er heimkommt. Mister Moon ist durchaus fähig, ohne Vorwarnung
tage- und sogar wochenlang am Stück zu verschwinden. Einmal, als er diese
Crookback-Angelegenheit untersuchte, blieb er für den Großteil eines Jahres
weg.«
    Nach den unerfreulichen Vorfällen im Direktorium
am Vormittag hatte Skimpole mit Moon sprechen wollen und ihn nicht angetroffen.
Es war zu Zeiten wie diesen, dass er sein Versprechen, sich im Hintergrund zu
halten, bereute.
    »Noch Tee?«, fragte Mrs Grossmith und wünschte
insgeheim, der Mann würde ablehnen.
    Das tat Skimpole mit einer Handbewegung, und die
Erleichterung darüber zeigte sich umgehend in Mrs Grossmiths Gesicht.
    »Ich bin schon

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