Das Alexandria-Komplott
gefangen?«
Gunn sah Pitt mit müder Verzweiflung an. Jeder, der gutgelaunt aus dem Tiefschlaf erwachte und gleich einen schlechten Witz auf den Lippen hatte, konnte in seinen Augen nur ein Fehlgriff der Natur sein.
»Das Schiff wird in der nächsten Stunde noch nicht in den Hafen einlaufen.«
»Gut, dann kann ich ja in aller Ruhe noch eine Stunde dösen.«
»Jetzt reiß dich mal zusammen«, schimpfte Gunn laut los. »Das neueste Satellitenfoto ist gerade aus dem Empfänger des Schiffs gekommen. Die Lady Flamborough ist zum zweitenmal verschwunden.«
»Sie ist tatsächlich nicht mehr zu sehen?«
»Selbst auf der stärksten Vergrößerung gibt es kein Zeichen von ihr. Ich habe gerade mit Admiral Sandecker gesprochen. Das Weiße Haus und das Pentagon spucken Befehle aus wie ein Geldspielautomat, der verrückt spielt, die Groschen. Ein Kommando der Special Operations Forces ist auf dem Weg. Die Jungs sind gut motiviert und richtig kriegslüstern – nur, sie wissen nicht, wen oder was sie angreifen sollen. Die haben sogar ein Spionageflugzeug hochgeschickt, das ein paar anständige Luftaufnahmen produzieren soll.«
»Frag den Admiral, ob er ein Treffen zwischen dem Führer des SOF-Teams und mir arrangieren kann, sobald die Einheit gelandet ist.«
»Warum fragst du ihn nicht selbst?«
»Weil ich weiterschlafen werde«, gab Pitt mit lautem Gähnen zurück.
Gunn war ehrlich konsterniert. »Dein Vater ist an Bord. Bedeutet dir das gar nichts?«
»Doch«, antwortete Pitt, und in seinen Augen glitzerte ein gefährliches Licht, das zur Vorsicht mahnte. »Das bedeutet mir allerhand. Aber ich weiß nicht, was ich in diesem Augenblick unternehmen könnte.«
Gunn gab nach. »Soll ich dem Admiral sonst noch etwas mitteilen?«
Pitt zog die Decke hoch, rollte sich heraus und sah zum Schott. »Ja, da ist tatsächlich noch etwas. Du kannst ihm sagen, ich wüßte, wie die Lady Flamborough verschwunden ist. Und ich hätte eine recht gute Vorstellung von dem Ort, an dem sie sich verbirgt.«
Jeden anderen außer Pitt hätte Gunn Lügner geschimpft, Pitt jedoch hatte ihn schon so oft verblüfft, daß er die Aussage nicht anzweifelte.
»Würde es dir etwas ausmachen, mir einen Tip zu geben?«
Pitt drehte sich halb um. »Du bist doch so eine Art Kunstmaler, nicht wahr, Rudi?«
»Meine kleine Sammlung ist zwar nicht das, was das Museum of Modern Art in New York zu bieten hat, aber sie ist ganz ansehnlich.« Er warf Pitt einen neugierigen Blick zu. »Was spielt das für eine Rolle?«
»Christo«, antwortete Pitt und drehte sich wieder zum Schott hin um. »Wir werden uns nach einer Skulptur umsehen müssen, die Christo verändert haben könnte.«
48
Ü ber der großen, am südlichsten Punkt der Welt gelegenen Stadt hatte sich der leichte Schneefall in einen windgepeitschten Graupelschauer verwandelt. Punta Arenas hatte seine Blütezeit vor dem Bau des Panamakanals als Frachthafen erlebt und war später verödet. Nach und nach erholte sich die Stadt wieder, wurde zum Zentrum der Schafzucht und blühte regelrecht auf, da in der unmittelbaren Nähe reiche Ölfelder entdeckt worden waren.
Hollis und Dillinger standen auf der Hafenmole und warteten gespannt darauf, an Bord der Sounder gehen zu können. Die Temperatur war einige Grad unter den Gefrierpunkt gesunken; eine feuchte, rauhe Kälte biß in ihre ungeschützten Gesichter. Sie kamen sich vor wie Kamele in der Arktis. Dank der Kooperation der chilenischen Behörden waren sie verkleidet und hatten ihre Kampfanzüge mit den Uniformen von Zollbeamten vertauscht.
Ihr Flugzeug war in der Dunkelheit planmäßig auf einem nahegelegenen Militärflugplatz gelandet. Der Sturm hatte sich als zusätzliche Tarnung erwiesen, da die Sichtweite dadurch auf wenige hundert Meter beschränkt wurde. Aus diesen Gründen war ihre Ankunft unbemerkt geblieben. Das chilenische Oberkommando hatte sich in seiner Gastfreundschaft sehr großzügig gezeigt und Hollis' kleiner Flotte Hangarplätze zur Verfügung gestellt, damit die Flugzeuge ungesehen abgestellt werden konnten.
Als sich die Haltetaue des Forschungsschiffes um die Poller legten und die Gangway heruntergelassen wurde, kamen sie aus dem Schutz des Lagerhauses hervor. Beide Männer schauderten, als die volle Kraft des eisigen Windes sie traf.
Ein hochgewachsener Mann mit faltigem Gesicht und freundlichem Grinsen erschien auf dem Brückenflügel. Er trug einen Skianorak und legte die Hände muschelförmig um den Mund.
»Señor López?«
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