Das Alexandria-Komplott
gehen zu lassen. Die Amerikaner sind gutmütig. In Vietnam mögen sie Dorfbewohner abgeschlachtet haben, aber sie werden vor ihrer eigenen Haustür keine unbewaffneten Zivilisten erschießen. Da kann ich mich schon auf die Angst der Amerikaner vor internationalen Verwicklungen verlassen. Der Präsident wird es nicht wagen, den Schießbefehl zu erteilen. Der örtliche Widerstand wird von der menschlichen Woge, die Roma überschwemmt und die unterirdische Kammer, die die Schätze der Bibliothek enthält, besetzt, kurzerhand im Keim erstickt.«
»Und Topiltzin wird sie anführen?«
»Und ich werde sie führen.«
»Wie lange, glaubst du, kannst du die Kammer halten?« fragte Paul.
»Lange genug, um den Übersetzern der antiken Sprachen Zugang zu gewähren und jede Rolle, die auf lange vergessene Mineralfundstätten Bezug nimmt, entfernen zu lassen.«
»Das könnte Wochen dauern. Soviel Zeit wirst du nicht haben. Die Amerikaner werden ihre Truppen verstärken und deine Leute innerhalb von ein paar Tagen nach Mexiko zurücktreiben.«
»Nicht, wenn ich damit drohe, die Schriftrollen zu verbrennen und die Kunstwerke zu zerstören.« Robert tupfte sich die Lippen mit einer Serviette ab. »Inzwischen müßte mein Jet wieder aufgetankt sein. Es ist besser, wenn ich rasch nach Mexiko zurückfliege und die Operation in Gang bringe.«
In Pauls Augen blitzte angesichts des Einfallsreichtums seines Bruders Respekt auf. »Wenn die amerikanische Regierung mit dem Rücken zur Wand steht, bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu verhandeln. Die Vorstellung gefällt mir sehr.«
»Ist bestimmt die größte Menschenmenge, die in Amerika einfällt, seit die Briten während des Revolutionskrieges dort gelandet sind«, erklärte Robert.
70
A m ersten Tag trafen sie zu Tausenden ein, am folgenden kamen Zehntausende. Aus ganz Nordmexiko strömte das Volk herbei, aufgestachelt von den leidenschaftlichen Aufrufen Topiltzins. Die Menschen kamen mit Autos, in überladenen Bussen und Lastwagen oder strömten zu Fuß in das staubige Städtchen Miguel Alemán auf der anderen Seite des Flusses, gegenüber von Roma. Die Asphaltstraßen, die von Monterrey, Tampico und Mexico City herführten, waren durch den endlosen Fahrzeugstrom verstopft.
Präsident De Lorenzo versuchte die menschliche Lawine, die auf die Grenze zurollte, aufzuhalten. Er alarmierte die mexikanische Armee und gab Befehl, Straßensperren zu errichten. Genausogut hätte das Militär versuchen können, eine Springflut zu stoppen. In der Nähe von Guadalupe schoß eine Gruppe Soldaten, die von den Massen überrollt zu werden drohte, in die Menge und tötete vierundfünfzig Menschen. Die meisten waren Frauen und Kinder.
Unbeabsichtigt hatte De Lorenzo Topiltzin in die Hand gespielt. Das war genau die Reaktion, auf die Robert Capesterre gehofft hatte. In Mexico City brachen Aufstände aus, und De Lorenzo erkannte, daß er zurückstecken mußte, wenn er sich nicht weiter ausbreitenden Unruhen oder den Gefahren einer jeden Augenblick losbrechenden Revolution gegenübersehen wollte. Er sandte eine Botschaft ans Weiße Haus, die sein tiefes Bedauern, die Flut nicht eindämmen zu können, ausdrückte. Dann befahl er die Soldaten in die Kasernen zurück. Viele von ihnen waren desertiert und hatten sich dem Kreuzzug angeschlossen.
Ungehindert strömte die Menschenmenge auf den Rio Grande zu.
Die Planungschefs der Familie Capesterre und die Anhänger Topiltzins errichteten auf fünf Quadratkilometern eine Zeltstadt und sorgten für regelmäßige Verpflegung. Sanitäreinrichtungen wurden herangekarrt und zusammengebaut. Man überließ nichts dem Zufall. Die meisten der Armen, die die Gegend überfluteten, hatten noch nie so gut gewohnt oder gegessen. Nur die Staubwolken und die Abgase der Dieselmotoren entzogen sich wirbelnd der menschlichen Kontrolle.
Entlang des mexikanischen Ufers wurden Sprachbänder ausgerollt, auf denen zu lesen war: ›Die Vereinigten Staaten haben unser Land gestohlen‹, ›Wir fordern das Land unserer Ahnen zurück‹, ›Die antiken Fundstücke für Mexiko‹. In Sprechchören schrien die Menschen die Slogans auf englisch, spanisch und nuhuatl. Topiltzin badete in der Menge und stachelte die Massen zu einer irren Raserei auf, wie man sie sonst nur im Iran erlebt hatte.
Die Fernsehgesellschaften nahmen die farbenfrohen Demonstrationen begeistert auf. Kameras, deren Kabel sich zu zwei Dutzend Übertragungswagen schlängelten, standen in einer Reihe auf dem
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