Das Alexandria-Komplott
billigen Burgunders vor dem Essen?« erkundigte er sich mit schiefem Grinsen.
Lily lachte. »Ich bin dabei.«
Giordino zuckte mit den Achseln. »Egal – Hauptsache, er ist genießbar.«
»Und Sie, Dirk?«
»Klingt gut.«
Pitt machte sich nicht die Mühe, Rothberg zu fragen, wodurch er sie erkannt hatte. Sein Vater hatte vermutlich die entsprechenden Beschreibungen geliefert. Pitt nahm an, daß der Historiker irgendwann in der Vergangenheit einmal für einen der vielen Geheimdienste der Regierung tätig gewesen war.
Rothberg zog sich in die Küche zurück, um den Wein einzuschenken. Lily folgte ihm.
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich –?« Sie blieb plötzlich stehen und musterte die leeren Platten und den kalten Herd.
Rothberg bemerkte ihren neugierigen Blick. »Ich bin ein miserabler Koch, deshalb wird unser Abendessen geliefert. Müßte gegen acht Uhr gebracht werden.« Er deutete auf das Couchelement im Wohnraum. »Bitte, machen Sie es sich am Kamin gemütlich.«
Er reichte die Gläser herum und ließ dann seinen schweren Körper in einen lederbezogenen Schaukelstuhl fallen.
»Auf eine erfolgreiche Suche.«
»Hört, hört«, meinte Lily.
Pitt kam gleich zum Kernpunkt. »Mein Vater hat mir erzählt, daß die Bibliothek von Alexandria für Sie so etwas wie ein lebenslanges Forschungsprojekt war.«
»Zweiunddreißig Jahre lang. Wäre vielleicht besser gewesen, wenn ich mir eine Frau gesucht hätte, anstatt in staubigen Bücherregalen zu wühlen und mir meine Augen über alten Manuskripten zu verderben. Das Thema war für mich wie eine Geliebte, die nie etwas von mir gefordert, sondern immer nur gegeben hat. Diese Liebe ist nie abgeflaut.«
»Ich kann Ihre Liebe verstehen«, sagte Lily.
Rothberg lächelte ihr zu. »Als Archäologin müssen Sie das wohl.«
Er stand auf und stocherte mit einem Schürhaken im Kamin herum. Als er sah, daß die Scheite gleichmäßig brannten, setzte er sich zufrieden wieder hin und fuhr fort.
»Ja, die Bibliothek war nicht nur ein berühmtes Gebäude der Gelehrsamkeit, sie war ein Weltwunder der Antike und enthielt Kunstgegenstände aus allen Zivilisationen.« Rothberg sprach, als befände er sich in einer Art Trancezustand, vor seinem inneren Auge tauchten die Schatten der Vergangenheit auf. »Die großartigen Kunstwerke und die griechische Literatur, die der Ägypter, der Römer, die heiligen Schriften der Juden, die Weisheit und das Wissen der begabtesten Menschen, die das Licht der Welt erblickt haben, die göttlichen Werke der Philosophie, die Bestseller der Antike, die Meisterwerke auf den Gebieten der Medizin und der Wissenschaft. Diese Bibliothek war das umfassendste Lager von Materialien und Wissen, das jemals in der Antike zusammengetragen wurde.«
»War sie der Öffentlichkeit zugänglich?« erkundigte sich Giordino.
»Sicher fand nicht jeder Bettler von der Straße Einlaß«, gab Rothberg zurück. »Aber Forschern und Gelehrten stand die Bibliothek offen. Die Bibliothek und das ihr angeschlossene Museum waren weit mehr als bloße Sammelstellen, in ihren Hallen herrschte die Atmosphäre von Gelehrsamkeit und Kreativität. Die Bibliothek entwickelte sich zur, wie wir es heute nennen würden, ersten umfassenden Bibliothek, wo Bücher systematisiert und katalogisiert wurden. Tatsächlich wurde der Komplex als Ort angesehen, an dem die Musen zu Hause waren.«
Rothberg machte eine Pause und warf einen schnellen Blick auf die Gläser seiner Gäste. »Sie sehen aus, als könnten Sie noch einen Schluck Wein vertragen, Al.«
Giordino lächelte. »Hab' noch nie nein gesagt, wenn mir jemand einen ausgeben wollte.«
»Lily, Dirk?«
»Ich habe noch kaum an meinem Glas genippt«, stellte Lily fest.
Pitt schüttelte den Kopf. »Danke, nein.«
Rothberg füllte Giordinos und sein eigenes Glas wieder, dann fuhr er fort.
»Spätere Staatsformen konnten nur entwickelt werden, weil die Bibliothek von Alexandria alle Erkenntnisse gesammelt hatte. Nur wenige wissenschaftliche Institutionen haben dermaßen viel geleistet. Plinius, ein gefeierter Römer des ersten Jahrhunderts, entwickelte und schrieb die erste Enzyklopädie der Welt. Aristophanes, der die Bibliothek zweihundert Jahre vor Christus leitete, hat sogar schon ein Wörterbuch verfaßt. Callimachus, ein berühmter Schriftsteller und eine Autorität auf dem Gebiet der griechischen Tragödie, schuf sozusagen das erste Who's Who. Der große Mathematiker Euklid hinterließ das erste bekannte Unterrichtswerk für
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