Das Alexandria-Komplott
Alexandria zu werden. Er war ein großartiger Chronist seiner Zeit. Wir wissen, daß er mehr als hundert Bücher geschrieben hat, in denen er Politik und Gesellschaft kommentierte, und dabei einen Zeitraum von vier Jahrtausenden abdeckte. Keines seiner Werke hat überlebt.«
»Die archäologische Forschung würde in einen Freudentaumel versetzt, wenn man Schriftstücke von ihm finden würde«, fiel Lily ein.
»Was wissen wir sonst noch über ihn?« erkundigte sich Pitt.
»Nicht viel. Venator hatte eine große Anzahl von Schülern, die später in Wissenschaft und Literatur Großes leisteten. Einer dieser Schüler, Diokletian von Antiochia, erwähnt ihn kurz in einem seiner Essays. Er beschrieb Venator als einen unerschrockenen Neuerer, der in Wissensgebiete vordrang, die anzutasten andere Gelehrte nicht wagten. Obwohl er Christ war, sah er die Religion eher im sozialwissenschaftlichen Licht. Das war auch der Hauptgrund für das Zerwürfnis zwischen Venator und dem christlichen Zeloten Theophilos, dem Bischof von Alexandria. Theophilos hat Venator regelrecht verfolgt. Er behauptete, Museum und Bibliothek seien Brutstätten des Heidentums. Schließlich konnte er den Kaiser Theodosius, einen gläubigen Christen, überreden, die ganze Anlage in Schutt und Asche legen zu lassen. Bisher nahm man an, daß im Laufe des Aufruhrs und der Aufstände, die während der Zerstörung zwischen Christen und Nichtchristen an der Tagesordnung waren, Junius Venator von fanatischen Anhängern des Theophilos ermordet wurde.«
»Aber jetzt wissen wir, daß er mit dem wichtigsten Teil der Sammlung entkam«, sagte Lily.
»Als Senator Pitt anrief und mir von Ihrer Entdeckung in Grönland berichtete«, erklärte Rothberg, »war ich aufgeregt wie ein Mädchen vor dem ersten Ball.«
»Können Sie irgendwelche Vermutungen anstellen, wo Venator Ihrer Meinung nach die Sammlung versteckt haben könnte?« fragte Pitt.
Rothberg dachte eine Weile nach. Schließlich sagte er mit ruhiger Stimme: »Junius Venator war kein gewöhnlicher Mann. Er hatte seinen eigenen Kopf. Außerdem besaß er Zugang zu allen möglichen Informationen. Seine Reise war mit Sicherheit sehr gut geplant, vermutlich hat er, soweit es ihm möglich war, nichts dem Zufall überlassen. Ganz bestimmt hat er seine Aufgabe gründlich erledigt, wenn man bedenkt, daß das Versteck sechzehn Jahrhunderte lang nicht entdeckt wurde.« Rothberg hob geschlagen die Hände, »ich kann Ihnen nicht den geringsten Hinweis anbieten. Es ist einfach zu schwierig, Venators Gedankengänge nachzuvollziehen.«
»Sie müssen doch irgendeine Vorstellung haben«, beharrte Pitt.
Rothbergs Blick blieb lange an den Flammen im Kamin hängen. »Ich kann nur sagen, daß Venators unterirdisches Versteck an einem Ort liegen muß, an dem es kein Mensch vermuten würde.«
27
0 7.58 zeigte Ismails Uhr an. Er kauerte hinter einem kleinen Gebüsch und beobachtete die Skihütte. Aus einem der beiden Kamine stieg Rauch auf, gleichzeitig strömte Dampf aus der Öffnung der Heizungsventilation. Miß Kamil, das wußte er, stand gern früh auf und war eine gute Köchin. Er vermutete, vollkommen zu Recht, daß sie bereits auf war und für ihre Wachen das Frühstück zubereitete.
Ismail war ein Mann der Wüste und nicht an die Kälte gewöhnt, die ihn jetzt umfing. Er wünschte, aufstehen, die Arme strecken und die Beine bewegen zu können. Seine Zehen schmerzten, und seine Finger wurden langsam in den Handschuhen taub. Die Agonie der Kälte betäubte sein Gehirn und verlangsamte seine Reaktionen. Allmählich stieg Angst in ihm auf; Angst zu versagen und zu sterben.
Ismails Unerfahrenheit zeigte sich immer deutlicher. In der kritischen Phase des Unternehmens wurde er unsicher. Plötzlich überlegte er, ob den verhaßten Amerikanern seine Gegenwart aus irgendeinem Grund bekannt sein könnte oder ob sie ahnten, daß ein Anschlag geplant war. Nervös und ängstlich, wie er war, verlor sein Bewußtsein in zunehmendem Maße die Fähigkeit, schnelle Entschlüsse zu fassen.
07.59. Ein kurzer Blick zu dem Lieferwagen, der oberhalb der Zufahrt zum Hang geparkt war. Alle vier Stunden fand zwischen den Männern im warmen Haus und denen, die im Lieferwagen hockten, ein Wachwechsel statt. Jeden Augenblick mußten sich nun die beiden Männer der Ablösung auf den zweihundert Meter langen Weg vom Haus her machen.
Er richtete seine Aufmerksamkeit nun auf den Wachposten, der den ausgetretenen Pfad auf dem Grundstück entlangkam.
Weitere Kostenlose Bücher