Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
verkörperten.
»Ja, ich kannte ihn. Zwar nicht besonders gut, aber er war mir sympathisch. Ein anständiger Mann. Seine Frau muss völlig aufgelöst sein. Die beiden hatten ein sehr gutes Verhältnis.«
»Warum kommen Sie nicht rüber, damit wir die Angelegenheit besprechen können? Ich bin in der Park Avenue am Tatort und könnte Ihre Hilfe gebrauchen.«
»Na schön, Chief. Ich sehe mir die Sache an, aber das ist alles. Der Mann, den Sie wirklich wollen, ist Lockhart; ich werde ihm meine Erkenntnisse weiterleiten.«
Robert war einer der effektivsten Polizeichefs gewesen, die New York je gehabt hatte. Er hatte die Gewaltverbrechensrate mit guten, alten Streifenpolizisten und entschlossenen Ermittlern um fünfzig Prozent gesenkt. Er mistete angestaubte Verwaltungshürden aus einer von Bürokratie überfrachteten Abteilung aus. Darüber hinaus verschaffte er den Beamten die Mittel, die sie brauchten, um ihre Arbeit zu verrichten, und die Motivation, um Fälle zu lösen. Auch den Papierkrieg verringerte er und übertrug Ermittlern Eigenverantwortung über ihre Fälle. Wenn eine Aufgabe gut erfüllt wurde, war er der Erste, der seine Leute der Öffentlichkeit präsentierte, damit sie das Prestige dafür ernteten. Natürlich hatte es ihm nicht geschadet, dass er die Zügel in einer Zeit gesteigerter Angst vor Terrorismus übernommen hatte, in der jedem klar gewesen war, dass sich die Stadt keine lasche Sicherheit leisten konnte.
Robert war ein heißer Anwärter auf das Amt des Bürgermeisters und hatte alle fünf Bezirke auf seiner Seite – sogar Staten Island, wo er den kleinsten Vorsprung hatte, aber immer noch als starker Spitzenkandidat galt. Er war als liberaler Republikaner gegen einen konservativen Demokraten angetreten, der republikanischer als er gewesen war.
Oft dachte Robert an diese Zeiten zurück – sehr oft. Die Blätter im Central Park hatten sich gerade erst gelblich und rötlich verfärbt, als unerwartet verfrühter Frost über die Stadt hereinbrach und die Menschen die Wintermäntel hervorholten. Der Geruch nach gerösteten Nüssen von den Ständen an den Straßenecken ließ es wie zu den Weihnachtsfeiertagen duften. Läufer in kurzen Hosen und T-Shirts trafen sich bei Tagesanbruch zur Vorbereitung auf den Marathon von New York City, ohne auf die Kälte zu achten. Jung und Alt fieberte mit den Mets, die durch spektakuläre Wurfserien auf die World Series zuhielten. Am Broadway sorgten vier neue Musicals für Aufregung. Das Metropolitan Museum of Art verzeichnete einen Rekordbesuch. Manhattan rüstete sich bereits für den so wichtigen Weihnachtstourismus. Alles schien in Ordnung.
Die Novemberwahlen lagen noch einige Wochen in der Zukunft, als der Jom Kippur, der heiligste Feiertag für Juden weltweit, Roberts Leben veränderte.
Robert hatte immer geglaubt, dass sich ein Leben nicht in einem Jahr, einem Monat oder einer Woche änderte; es änderte sich an einem Tag oder in einer Sekunde. Manchmal sogar in dem Bruchteil einer Sekunde, in dem ein junger Mensch beschloss, zu einem betrunkenen Fahrer ins Auto zu steigen, oder in dem jemand entschied, eine gefährliche Straße zur falschen Tageszeit entlangzugehen. Es änderte sich in dem Moment, in dem jemand den Abzug einer Waffe drückte oder ›Ja‹ in einer Situation sagte, die ein ›Nein‹ erfordert hätte.
Aber Maria hatte nie auf ihn gehört.
»Geh heute nicht in die Stadt«, hatte er sie angefleht, aber sie wollte bei Bergdorf vorbeischauen und hatte nicht gedacht, dass ausgerechnet jener Laden ein Terroristenziel sein könnte. Dennoch war er genau dort aufgetaucht, ein mit einem traditionellen Gebetstuch getarnter Kamikazebomber. Unbekümmert war er die Fifth Avenue entlanggeschlendert, bis er explodierte. Neben sich selbst riss er ein paar Dutzend weitere Menschen mit in den Tod. Von acht Millionen auf achthundert Quadratkilometern hatte er sich jenen halben Häuserblock ausgesucht, wo Maria einkaufte.
Soweit es Robert betraf, hatte sich das Buch des Lebens vor einem Jahr am Jom Kippur für ihn geschlossen.
Am nächsten Tag war er ausgestiegen – aus dem politischen Geschehen, aus dem hektischen Geschehen des Berufsalltags und in vielerlei Hinsicht aus dem Geschehen der menschlichen Gesellschaft.
Er gelangte zu dem Schluss, dass Wodka der Marke Absolut seinen zuverlässigsten Gefährten darstellte; allein der Name vermittelte jene Sicherheit, nach der er suchte. Mittlerweile lebte er völlig zurückgezogen, las Geschichten über
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