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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Weil er aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnahm, schloss er schnell die Augen.
    Als der Wagen wieder einmal kräftig schaukelte, ließ Bryan seinen Kopf schlaff zur Seite kippen, sodass er James’ Bett sehen konnte. Dort stand ein schwarz gekleideter Offizier.
    Bryan wurde eiskalt, aber es lenkte ihn kurz von den Schmerzen am Oberarm ab. Er hielt die Kanüle krampfhaft fest und hoffte, dass James es noch rechtzeitig geschafft hatte, sich zu verstellen.
    Der S S-Sicherheitsoffizier verschränkte die Hände im Rücken. Lange stand er so da und betrachtete aufmerksam den »Bewusstlosen«. Von draußen waren ein Klirren und Schreie zu hören. Ein plötzlicher Ruck erschütterte den Wagen, aber der Offizier blieb stehen wie ein Fels in der Brandung.
    Es folgten noch mehrere ruckartige Bewegungen rückwärts, gefolgt von kräftigen Stößen, dass der Wagen nur so schwankte. Die Waggons wurden offenbar umrangiert. Als die Bahnarbeiter fertig waren, machte der Schwarzgekleidete auf dem Absatz kehrt und verschwand.
     
    Später in der Nacht kam ein weiterer Offizier im Mantel und steuerte direkt auf James’ anderen Nachbarn zu. Dort blieb er stehen und leuchtete dem Verwundeten ins Gesicht. Plötzlich erstarrte er, stieß einen halb erstickten Laut aus und stürzte zum hinteren Wagen.
    Wenige Momente später kehrte er mit Verstärkung zurück. Ein Mann im Kittel, den Bryan noch nicht gesehen hatte, packte das Hemd des Patienten am Ausschnitt und riss es auf.
    Nachdem er ihn wenige Sekunden konzentriert abgehört hatte, entfernte er das Stethoskop und explodierte. Ein wildes Durcheinander entstand. Die Krankenschwestern gestikulierten und wichen zurück. Die Tür vorn schlug auf und der Sicherheitsoffizier erschien, bellte irgendwelche Befehle und schlug der ersten Krankenschwester ohne zu zögern ins Gesicht. Nach lautstarkem Wortwechsel stürmte der Soldat, der das alles ausgelöst hatte, durch den Wagen und kam gleichdarauf mit weiteren Soldaten zurück. In der Zwischenzeit hatte man den Verwundeten hinausgetragen, gefolgt von seinem Wächter und den Krankenschwestern.
    Unter dem Dach der Bahnhofshalle dröhnten irgendwelche Motoren besonders laut, sie wurden fast übertönt von kreischenden Bremsen, und dazwischen, direkt vor ihrem Waggon, erteilte jemand hektisch Befehle. Die Verwundeten im Lazarettwagen waren wieder sich selbst überlassen.
    »Was war das?«, fragte Bryan leise.
    James legte einen Finger auf die Lippen. »Er liegt im Sterben. Ein Gruppenführer. Der Sicherheitsoffizier war wütend«, antwortete er kaum hörbar.
    »Gruppenführer?«
    »Generalleutnant!« James lächelte. »Ja, schon sonderbar. Die Vorstellung, dass so ein verfluchter Waffen-S S-General hier direkt neben mir gelegen hat. Das wird sicher Konsequenzen haben.«
    »Und wohin bringen die ihn jetzt?«
    »Nach Bayreuth. Ins Krankenhaus.«
    Bryan feuchtete wieder seine Finger an, rieb vorsichtig das geronnene Blut unter dem Arm weg und leckte die Finger ab. Sie mussten höllisch aufpassen.
    »Weißt du, James, wovor ich mich am meisten fürchte?«
    Es roch übel unter James’ Decke hervor, als der sich umdrehte. »Nein.«
    »Was meinst du, sind die Verwundeten auf dem Weg zu ihren Familien?«
    »Ich glaube schon, ja.«
    »Und warum glaubst du das?«
    »Als die den General rausgetragen haben, hörte ich das Wort ›Heimatschutz‹. Ich weiß nicht, wofür das steht, aber wenn man es direkt übersetzt, bedeutet es so etwas wie ›die Heimat schützen‹. Und dorthin sind wir auf dem Weg, soweit ich es verstanden habe. In deren Heimat.«
    »Damit mussten wir rechnen.«
    »Vielleicht. Wahrscheinlich.«
    »Trotzdem: Wir müssen hier so oder so weg! Das hier, das ist doch der totale Wahnsinn. Wir wissen nicht, was uns offiziell fehlt. Und wir wissen auch nicht, was die mit uns vorhaben.«
    James’ Gesicht war fast ausdruckslos. »Lass mich ein bisschen nachdenken, Bryan.«
    »Eins musst du mir noch sagen. Du stimmst mir doch zu, dass wir hier weg müssen? Am besten noch heute Nacht, wenn der Zug wieder fährt?«
    James schwieg lange. Draußen verklangen langsam die Geräusche des Lastwagens, die Stimmen vor dem Zug waren nun weiter entfernt. Der Verwundete auf Bryans anderer Seite stöhnte kurz auf und seufzte tief.
    »Wir werden erfrieren«, sagte James schließlich. »Aber du hast Recht.«
     
    Noch ehe es wieder hell wurde, war jeder Gedanke an eine Flucht gestorben. Drei Frauen in Zivil stiegen vorn in den Wagen ein. Fast lautlos öffneten

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