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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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mehrals drei Monaten versorgte man sie nun schon hier. Was hatte man jetzt mit ihnen vor? Sollten sie in andere Abteilungen oder Lazarette überführt werden? Oder wollte man sie »aussortieren«? Und warum war Bryan vor allen anderen aufgerufen worden? Weder der Sicherheitsoffizier, der beim Gehen seine Stiefel auf den Steinboden knallte, noch die Pfleger und Träger gefielen ihm. Was hatten sie mit ihnen vor? Vielleicht war es gut, dass James nicht dabei war.
    Die Männer gingen an dem Behandlungsraum, dem Raum der Elektroschockbehandlung und dem Kontrollraum der Ärzte vorbei. Sie verließen den Gang durch die Tür, durch die sie am ersten Tag hereingekommen waren und die sie seither nie mehr benutzt hatten. Schon auf der Treppe wurden die Männer unruhig, bald blieben einzelne stehen und pressten die Arme an den Oberkörper. Sie wollten nicht mit. Die Pfleger lachten, redeten ihren Patienten gut zu und zwangen sie, wieder ihren Platz einzunehmen.
    Es war ein schöner Tag, aber erst die zweite Aprilhälfte, und hier auf der Höhe war es noch immer nasskalt. Bryan sah hinunter auf seine Strümpfe und die Hausschuhe. Unauffällig bemühte er sich, Pfützen und Matsch auszuweichen, als sie im Gänsemarsch den aufgeweichten Appellplatz überquerten. Als ihm klar wurde, dass sie zur Turnhalle geführt wurden, erfasste ihn Panik.
    Ihre Prozession wurde von einem S S-Offizier angeführt. Die Revolvertasche an seinem Gürtel schwang bei jedem Schritt, sie war nur wenige Zentimeter von Bryans Hand entfernt. Würde es ihm gelingen, sich den Revolver zu greifen? Und wohin müsste er dann rennen? Bis zum Zaun hinter der Turnhalle waren es gut zweihundert Meter. Dort stand ja noch mehr Wachpersonal.
    Dann kamen sie an den Baracken vorbei.
    Hinter der Turnhalle lag ein großer offener Platz. Nun konnte Bryan neben dem Grasstreifen auch die Häuser sehen, dievorher nur zu ahnen gewesen waren: ein Gebäude, das parallel zur Turnhalle lag, zwei mit Krankenbetten und ein Gebäude, das wie ein Verwaltungskomplex aussah, mit kleinen Fenstern und braunen Flügeltüren. Eine Art Korridor aus Holz verband die Turnhalle und das Gebäude dahinter. Dort blieb die Gruppe stehen und der Sicherheitsoffizier ließ sie kurz allein.
    Heute sehe ich zum letzten Mal die Sonne aufgehen, dachte Bryan, als er den Blick über die angestrahlten Wipfel der Fichten und die vor der Mauer stehende Reihe der Männer schweifen ließ. Der Pockennarbige stand stramm und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Er überragte sie alle.
    Der Typ mit dem breiten, teigigen Gesicht stand zwischen ihnen. Sein Mund war in ständiger Bewegung, ohne dass je ein Wort über seine Lippen kam. Als weitere Schritte erklangen, zuckte Bryan so heftig zusammen, dass das Mundwerk seines Nachbarn für einen Moment still stand.
    Als die ersten Sonnenstrahlen von hinten auf den Platz fielen, verliehen sie den schwarzen und feldgrauen Uniformen etwas Feierliches, Ehrfurchterweckendes. Das hatte Bryan nicht erwartet. Das hier war kein Hinrichtungskommando, sondern ein Mummenschanz aus Orden, Eisernen Kreuzen, glänzenden Ordensbändern und Lackstiefeln. Überall sah man die S S-Runen oder den Totenkopf. Alle Korps waren vertreten, alle Typen, alle möglichen Verwundungen und jedes Alter. Das hier war der Aufmarsch der Verwundeten, ein Aufgebot von Verbänden, Armschlingen, Krücken und Stöcken.
    Die Elitesoldaten des Deutschen Reiches erbrachten den Beweis, dass ein Krieg nicht ohne Blutvergießen gewonnen werden konnte.
    Die Soldaten defilierten in Grüppchen am Fahnenmast in der Platzmitte vorbei. Soldaten in Rollstühlen, geschoben von Krankenschwestern, bildeten die Nachhut. Ganz zuletzt schoben schwitzende Sanitäter auf dem Plattenweg noch einige Krankenbetten mit gewaltigen Rädern heran.
    Die frische Luft tat gut, aber es war eisig kalt, was natürlich durch ihre unpassende Bekleidung hindurch deutlich zu spüren war. Bryans Nebenmann klapperte mit den Zähnen. Mach dir keine Sorgen, sagte sich Bryan und sah zu der Hakenkreuzfahne auf, die in feierlichem Schweigen gehisst wurde, während nun alle den Arm zum Hitlergruß erhoben hatten.
    Sie standen in der nordwestlichen Ecke des Geländes fast ganz hinten. Bryan lehnte sich zur Seite, tat, als würde er wegdösen, und schielte um die Ecke des Gebäudes. Von hier aus konnte er gerade eben noch ein kleineres gemauertes Haus am Rand des Felsens ausmachen. Vermutlich die Kapelle des Lazaretts. Am entgegengesetzten Ende, am Zaun nach

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