Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
entlassen. Die Ärztin hat mir erzählt, meine Mutter und mein Vater hätten mich im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend gefunden. Ich war völlig nackt und starrte den Fernseher an, der gar nicht lief. Angeblich sagte ich kein Wort und kam auch nicht mehr zu mir. Mein Vater gab mir sogar eine Ohrfeige, um mich aufzuwecken, und wie gesagt, macht er das normalerweise nie. Es half aber nichts. Also brachten sie mich in die Klinik, in der ich auch damals mit sieben war, nach dem Tod von Tante Helen. Angeblich habe ich eine ganze Woche lang mit niemandem geredet und niemanden erkannt. Nicht einmal Patrick, der mich offenbar während dieser Woche besucht hat. Der Gedanke ist schon unheimlich.
Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich den Brief eingeworfen habe. Und dann war ich plötzlich in einem Sprechzimmer. Und ich erinnerte mich an Tante Helen. Und fing an zu weinen. Und die Ärztin, die sich als sehr nett herausstellte, fing an, mir Fragen zu stellen. Und ich habe die Fragen beantwortet.
Ich will eigentlich nicht über die Fragen und die Antworten reden. Mir wurde einfach nur klar, dass alles, was ich von Tante Helen geträumt hatte, die Wahrheit war. Und dass es jeden Samstagabend passiert ist – wenn wir ferngesehen haben.
Die ersten Wochen in der Klinik waren ziemlich schlimm. Wobei das Schlimmste war, bei der Ärztin im Zimmer zu
sitzen, während sie meiner Mutter und meinem Vater erklärte, was damals passiert war. Ich habe meine Mutter noch nie so viel weinen sehen. Oder meinen Vater so wütend erlebt. Sie hatten nichts davon mitbekommen, als es passierte.
Die Ärztin hat mir dann geholfen, vieles besser zu verstehen. Tante Helen zu verstehen. Meine Familie zu verstehen. Meine Freunde zu verstehen. Mich zu verstehen. Solche Dinge brauchen viel Zeit, und die Ärztin hat mir während alldem wirklich sehr geholfen.
Was mir aber am meisten half, waren die Zeiten, in denen ich Besuch haben durfte. Meine Familie, auch mein Bruder und meine Schwester, kam an diesen Tagen immer zu mir, bis mein Bruder dann zurück ans College musste, um Football zu spielen. Danach kam meine Familie ohne meinen Bruder, und mein Bruder schickte mir Karten. Auf seiner letzten Karte schrieb er mir, dass er meinen Aufsatz über »Walden« gelesen und er ihm sehr gut gefallen habe, was mir ein richtig gutes Gefühl gab. So wie mir die Besuche von Patrick ein gutes Gefühl gaben. Das Beste an Patrick ist, dass er sich nie ändert, selbst in einer Klinik nicht – er macht Witze, damit es dir wieder besser geht, statt dich ständig zu fragen, wie schlecht es dir geht. Und er brachte mir einen Brief von Sam mit, in dem Sam schrieb, dass sie Ende August zurückkäme. Und wenn es mir bis dahin wieder besser gehe, würden sie und Patrick und ich durch den Tunnel fahren. Und diesmal dürfte ich auf der Ladefläche des Pick-up stehen, wenn ich wolle. Das half mir mehr als alles andere.
Die Tage, an denen ich Post bekam, waren auch gut. Mein Großvater schrieb mir einen wirklich netten Brief. Und meine Großtante. Und meine Großmutter und Großonkel Phil. Tante Rebecca schickte mir sogar Blumen mit einer Karte, die von allen meinen Cousins aus Ohio unterschrieben war. Es war schön, zu wissen, dass sie alle an mich dachten. So, wie das eine Mal, als Patrick Mary Elizabeth und Alice und Bob und die anderen mitbrachte. Auch Peter und Craig. Ich glaube, die beiden sind wieder Freunde, und das hat mich gefreut. So, wie es mich gefreut hat, dass Mary Elizabeth die meiste Zeit redete. Denn das ließ alles so normal erscheinen. Mary Elizabeth blieb sogar noch etwas länger als die anderen, und ich habe mich sehr gefreut, mich noch einmal alleine mit ihr unterhalten zu können, bevor sie nach Berkeley ging. So, wie ich mich für Bill und seine Freundin gefreut habe, als sie mich vor zwei Wochen besuchen kamen. Im November wollen sie heiraten, und sie haben mich auf ihre Hochzeit eingeladen. Ist das nicht großartig?
Das Gefühl, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, hatte ich zum ersten Mal an jenem Tag, als meine Schwester und mein Bruder noch blieben, nachdem meine Eltern schon gegangen waren. Das war irgendwann im Juli. Sie stellten mir viele Fragen über Tante Helen, denn anscheinend war ihnen nie etwas passiert. Und mein Bruder wirkte wirklich traurig. Und meine Schwester wirkte wirklich wütend. Von diesem Moment an klarte langsam alles auf – denn danach gab es niemanden mehr zu hassen.
Damit meine ich, dass ich meinen Bruder
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