Das alte Haus am Meer
›Nicht Dale.‹«
March runzelte die Stirn.
»Das sagte sie also. Das ist ja eine ziemlich interessante Geschichte. Geht sie noch weiter?«
»Nein. Wir trennten uns auf dem Bahnsteig. Ich habe ihr meine Visitenkarte gegeben, und wie ich schon sagte, sie rief mich letzten Donnerstag an. Die Zugfahrt hatte am vergangenen Samstagmorgen stattgefunden.«
»Woher wussten Sie, wer sie war? Hat sie es gesagt?«
»O nein. Sie hätte wohl kaum so offen geredet, wenn sie geahnt hätte, dass ich sie erkannte.«
»Und wieso erkannten Sie sie?«
»Oh, sofort. In der Zeitschrift, die Ethel mir freundlicherweise für die Zugfahrt gegeben hatte, war ein Foto von ihr, wirklich ein sehr gutes Foto. Und daneben stand einer dieser schwatzhaften Artikel. Daraus bezog ich eine ganze Menge Informationen. Mr Dale Jerningham ist der Eigentümer von Schloss Tanfield. Er ist zum zweiten Mal verheiratet, und beide Frauen hatten Geld. Sogar ihre Namen wurden erwähnt. Das Ganze war unglaublich geschmacklos.«
March sagte: »Ich verstehe.« Dann nach einer Weile: »Die erste Frau machte ein Testament zu seinen Gunsten und kommt dann in den Bergen um. Die zweite Frau macht ein Testament zu seinen Gunsten und ertrinkt beinahe. Das ist natürlich verdächtig, aber …«
Miss Silver sagte: »Genau.«
»Es wäre interessant, mehr über den Unfall beim Schwimmen zu erfahren.«
Sie nickte ernst.
»Was meinen Sie?«
»Mrs Mottle, die Wirtin vom ›Grünen Mann‹, wo ich Tee getrunken habe, erzählte mir, dass Mrs Jerningham, am Dienstag glaube ich, beinahe umgekommen ist, weil die Lenkung ihres Wagens plötzlich mittendurch brach, wie sie sich ausdrückte, und zwar auf der Anhöhe über dem Dorf. Ich hörte heraus, dass man das allgemein für einen Racheakt von diesem Pell hält, der wohl der Ansicht war, Mrs Jerningham habe etwas mit seiner Entlassung zu tun. Man hatte gehört, wie er drohte, es all denen heimzuzahlen, die sich mit ihm anlegten, und ich nehme an, es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sich an der Lenkung des Wagens zu schaffen zu machen.« Sie blickte mit einem leichten Lächeln auf. »Sie sehen, Randal, es ist nicht ganz einfach.«
»Einfach? Ganz sicher nicht! Dabei schien es so ein unkomplizierter Fall zu sein. Alles deutet auf Pell. Cissie Coles Mord lässt sich leicht einordnen. Es schien ein Kinderspiel. Und jetzt kommen Sie mit einem neuen Verdacht, und ich selbst habe auch noch einen.«
Miss Silvers Nadeln klapperten emsig.
»Ja, ein Kinderspiel scheint es nun nicht mehr«, beobachtete sie.
Er lachte ein wenig wehmütig.
»So sieht es aus. Hören Sie, ich war mir nicht ganz sicher, ob ich es Ihnen sagen soll, aber ich werde es tun. Ich muss wohl nicht dazu sagen, dass es streng vertraulich ist.«
»Das klingt ja sehr interessant.«
Er beugte sich vor und sagte leise:
»Das ist es wahrscheinlich auch. Ein bisschen zu sehr sogar für meinen Geschmack. Ich frage mich, ob Sie wirklich allwissend sind. Als ich acht war, glaubte ich es, und ich habe inzwischen den entsetzlichen Verdacht, dass es stimmt.«
»Was für eine Übertreibung, Randal!«
Er schenkte ihr ein scharmantes Lächeln.
»Überhaupt nicht. Aber ich will zur Sache kommen. Erstreckt sich Ihre Allwissenheit auch auf den HudsonProzess?«
»Ich mag keine Übertreibungen«, sagte Miss Silver leicht vorwurfsvoll. »Ich habe nie behauptet, allwissend zu sein. Aber ich merke mir leicht Dinge, und ich habe diese Fähigkeit trainiert. Sie spielen wahrscheinlich auf Professor Hudson an, der in dem Hauptmann-Prozess aussagte. Er hat einen Jodgas-Test erfunden, der Fingerabdrücke sichtbar macht, die bei den herkömmlichen Tests verborgen bleiben. Ich glaube, die Geschworenen haben seine Beweisführung nicht anerkannt. Geschworene sind wissenschaftlichen Methoden gegenüber immer sehr misstrauisch. Sie verstehen sie nicht und deshalb mögen sie sie nicht. Aber ich verstehe nicht, welche Bedeutung das JodgasVerfahren für diesen Fall haben soll. Allerdings habe ich gehört, dass Professor Hudson auch interessante Experimente mit Fingerabdrücken auf Stoff gemacht haben soll. Wenn ich mich nicht irre, gibt es ein Verfahren, das bei Wollstoffen angewandt werden kann. Vielleicht ist es das, woran Sie denken?«
March lachte laut.
»Ich hatte doch Recht. Sie wissen einfach alles.«
Miss Silver lächelte.
»Man verwendet Silbernitrat, wenn ich mich recht erinnere. Es reagiert mit dem Salz aus dem Fingerabdruck zu Silberchlorid. Der Stoff wird in eine Lösung getaucht, ausgewrungen und
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