Das alte Haus am Meer
stecken zu wollen und
überließ die Damen Mr Rafe.«
Miss Silver nippte erneut.
»Der gut aussehende Cousin. Ja, ich kann mir vorstellen,
dass er bei den Damen gut ankommt.«
Mrs Mottles feste roten Backen vibrierten, als sie lachte. »Die umschwirren ihn, wie die Bienen den Honigtopf«,
sagte sie. »Und was soll er machen? Er kann es sich nicht leisten zu heiraten, und es gibt kein Mädchen in der ganzen Gegend, das nicht hinter ihm her wäre. Sie müssen wissen, er arbeitet oben auf dem Flugplatz. Ein ganz cleverer Bursche, dieser Mr Rafe. Aber Samstagnachmittags und sonntags, da spielt er Tennis und Golf, feiert Partys am Strand, macht Bootsausflüge und Picknickpartys. Da ist nichts dabei, und jeder, der etwas gegen Mr Rafe sagt, kriegt es mit mir zu tun. Man ist nur einmal jung, und warum sollte er sich nicht amüsieren.
Das ist meine Meinung.«
»Und Mr Rafe amüsiert sich?«
Mrs Mottle lachte erneut, ein volles, vergnügtes Lachen. »Er amüsiert sich nach Leibeskräften.«
32
Gegen neun Uhr desselben Abends saß Inspektor March mit Miss Silver in dem kleinen nach hinten gelegenen Wohnzimmer, das Miss Mellison ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Das Zimmer war sehr klein und enthielt für seine Größe eine erstaunliche Anzahl von Gegenständen. Neben dem Herrensessel aus goldgemustertem Samt, in dem der Inspektor Platz nahm, und dem Gegenstück für Damen, das von der aufrecht sitzenden Miss Silver eingenommen wurde, gab es zwei weitere Stühle mit glänzender Lehne und einer Sitzfläche aus Brokatimitat, befestigt mit zahllosen Ziernägeln aus Messing. Weiter gab es einen wackeligen Tisch, darauf eine Palme im leuchtend blauen Übertopf, einen Pflanzenschemel aus Bambus mit einer weiteren Palme, zwei Fußschemel in Rot und Blau, die Sorte, wie man sie in alten Kirchen findet, ein Modell des Tadsch Mahal unter Glas, zwei falsch gehende Uhren, zwei emaillierte Vasen, eine Reihe brauner Holzbären aus Bern und ein buntes Sammelsurium von Bildern. Miss Silver gegenüber hingen vergrößerte Fotografien von Miss Mellisons Eltern, er untersetzt und vergnügt, sie verkniffen und vorwurfsvoll. Der Inspektor dagegen blickte auf vier verblichene Aquarelle und einen Stich von der Eröffnung der Weltausstellung durch Königin Viktoria im Jahre 1851. Blaue Plüschvorhänge waren, so weit es ging, zurückgezogen, eine Gardine aus Madras-Musselin bewegte sich leicht in dem Luftzug, der durch die offene Terrassentür kam. Dahinter lag ein kleiner Garten mit bunten Blumen – Stockrosen, Phlox, Löwenmäulchen und Kapuzinerkresse.
Randal March blickte seine Gastgeberin leise lächelnd an und sagte:
»So, da wäre ich. Würden Sie mir nun sagen, was Sie hierher führte? Und wie ich zu der Ehre komme?«
Miss Silver arbeitete am Ärmel des Pullovers für ihre Nichte Ethel. Sie strickte dabei mit vier Nadeln. Die klapperten in ihren rundlichen, geschickten Händen, während sie antwortete:
»Mein lieber Randal, Sie überraschen mich. Was mich hierher führt? Ich war Ihre Lehrerin. Und nun verbringe ich einen kurzen Urlaub in Ledlington. Da ist es doch ganz natürlich, mich auf einen kurzen Schwatz mit meinem alten Schüler zu treffen, zu dessen Familie ich immer die freundschaftlichsten Beziehungen hatte. Miss Mellison war überaus interessiert und sehr liebenswürdig. Sie bot mir sofort dieses kleine Zimmer an. Ich zeigte ihr ein Foto Ihrer lieben Mutter und ein Gruppenbild mit Ihnen und Margaret und Isabel. Wir waren beide der Ansicht, dass Sie sich kaum verändert haben.«
Randal March legte den Kopf in den Nacken und lachte.
»Wunderbar!«, sagte er. »Was ist dabei für Sie herausgesprungen? Abgesehen von diesem Zimmer?«
»Sie hat mir alles über sich erzählt«, antwortete Miss Silver. »Und Sie sollten nicht lachen, denn sie ist eine sehr tapfere kleine Frau. Ihr Vater war Steuermannsmaat im Ledshire Regiment, und sie lebten lange in Indien. Ihre Mutter verlor sechs Kinder dort. Miss Mellison hat als Einzige überlebt. Wirklich sehr traurig. Und Geld ist wohl kaum vorhanden, fürchte ich, aber sie führt die Pension sehr gut und, wie ich hoffe, erfolgreich. Von einer Großtante hat sie die Möbel geerbt, und sie arbeitet wirklich sehr hart.« Die Nadeln klapperten emsig.
»Was führt Sie hierher?«, wiederholte March. »Sie können es mir doch ebenso gut gleich sagen und es hinter sich bringen.«
»Mein lieber Randal, ich denke, ich kann einen Urlaub gebrauchen.«
»Sie hatten ja gerade Urlaub. Sie sind gekommen,
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