Das alte Haus am Meer
Sandgebäck bereit und seufzte zustimmend. Sie war eine dralle Frau, klein und kräftig, mit einer Unmenge lockiger schwarzer Haare, die von ersten grauen Strähnchen durchzogen waren. Ihre Wangen waren leuchtend rot.
»Ach, da haben Sie Recht«, sagte sie. »Und ich bin keine, die schlecht über Männer redet. Alles in allem sind sie auch nicht schlechter als die meisten von uns. Aber ich sage immer, manche schrecken vor nichts zurück, und da haben wir’s wieder.«
Miss Silver hüstelte dezent.
»Du meine Güte, wie Recht Sie haben. Und natürlich haben Sie viel Gelegenheit, das zu beobachten. Die menschliche Natur muss wie ein offenes Buch für Sie
sein.«
»Das kann man wohl sagen«, sagte Mrs Mottle. »Beim
Bier reden die Männer offen über alles. Nicht dass ich hier
Flüche und so etwas dulden würde, mein Mann auch nicht,
so etwas gibt es nicht bei uns. Aber die menschliche
Natur, das ist etwas anderes. Da wird geredet, und
natürlich hört man es. Und dieser Pell war ja fast jeden
Abend hier. Und wie er sich das noch getraut hat, als
schon jeder wusste, dass er verheiratet ist, das geht über
meinen Verstand. Aber na ja, manche trauen sich einfach
alles. Und der kam hier rein, kalt wie ‘ne Hundeschnauze,
und kaum war er beim zweiten Glas, da hielt er sich nicht
mehr zurück. Sie würden es nicht glauben, was der so alles
sagte.«
»Wirklich? Wie interessant. Was sagte er denn so?« »Alles Mögliche«, erwiderte Mrs Mottle, ganz in ihrem Element. »Und er hat noch Glück gehabt, dass das bei der
Verhandlung nicht auf den Tisch kam.«
»Meine Güte!«
»Sagte immer, was mit denen passieren würde, die sich
mit ihm anlegen. Ich hab’s mit eigenen Ohren gehört.
Keinem würde es bekommen, sich mit ihm anzulegen. Das
war, als Mr Jerningham ihn gefeuert hat. Und nicht mal
zwei Wochen später wäre Mrs Jerningham fast
umgekommen, weil die Lenkung an ihrem Auto kaputt
war. Ich sage nicht, dass er’s war, aber mehr als einer hier
macht sich so seine Gedanken. Und er hätte es leicht
drehen können, wenn er gewollt hätte. Erst am Abend
vorher hat er hier sein Glas so fest aufgeknallt, dass es
kaputtging, und dabei hat er gesagt, dass er sich immer an
denen rächt, die ihm dumm kommen. Und ich hab noch zu
ihm gesagt, solche Reden dulde ich nicht, nicht solange
ich hier hinter dem Tresen stehe. Er hat nur gelacht und
gesagt: ›Wart’s nur ab!‹ Und dann ist er gegangen.« Miss Silver schenkte sich eine Tasse Tee ein.
»Was für eine gut aussehende Familie, diese
Jerninghams«, bemerkte sie. »Ich war sehr beeindruckt
von ihnen bei der Verhandlung. Lady Steyne – wirklich
sehr hübsch. Sie ist die Cousine, oder? Und Mr und Mrs
Jerningham, was für ein attraktives Paar. Dann der andere
Cousin, Mr Rafe Jerningham …«
Sie bekam von Mrs Mottle nur Gutes über die
Jerninghams zu hören. Mr Jerningham war sehr gütig.
Nicht viele Herren würden mit ihrer Frau die arme Miss
Cole besuchen, so wie er es getan hatte. Und wie
freundlich er war, ich habe es von ihr selbst erfahren. Und
wie schön, dass er mit so einer reizenden jungen Dame
verheiratet ist. »Verlor seine erste Frau bei einem Unfall in
der Schweiz, vor ungefähr zehn Jahren. Und hat bis jetzt gebraucht, um darüber hinwegzukommen und sich eine neue Frau zu nehmen. Nicht wie manch andere, die ich
kenne. Und wo er doch so ein gut aussehender Herr ist.« Miss Silver gab Milch und Zucker in den Tee. »Kannten Sie die erste Mrs Jerningham?«
Mrs Mottle war schon fast bei der Tür. Sie lehnte ihre
breite Schulter gegen den Pfosten und schüttelte den Kopf. »Kennen ist übertrieben, nicht viele hier kannten sie. Sie
war öfter zu Besuch hier, als sie noch Miss Lydia Burrows
war. Das war zu Zeiten des alten Mr Jerningham. Sie und
Mr Dale sind nach der Heirat viel gereist. Sie war
kränklich und sollte im Winter nicht in England bleiben.
Hätte genauso gut hier bleiben können, statt in den Bergen
abzustürzen und dabei umzukommen!«
Miss Silver nippte an ihrer Tasse mit rosa und goldenen
Rosen.
»Wie erschütternd!«, sagte sie.
»Beim Blumenpflücken oder so«, fuhr Mrs Mottle
unbestimmt fort. »Und dann starb der alte Mr Jerningham
und Mr Dale erbte den Besitz. Natürlich dachten wir alle,
er würde wieder heiraten, so jung wie er war. Aber nein, er
schien sich nur für seine Besitzungen zu interessieren.
Rackerte von früh bis spät. Hier ein neues Farmhaus, da
ein Dach erneuert. Er hatte von seiner Frau viel Geld
geerbt, schien alles in den Besitz
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