Das alte Kind
Chandler-Lytton hatte sich wenig später von seiner Frau getrennt. Um diesen Wahnsinn nicht mittragen zu müssen? Oder hatte sie sich von ihm getrennt, um auch vor ihm den Babytausch zu verheimlichen? Aber dann hätte er doch auf seinem Besuchsrecht bestanden. Es sei denn, sie hätte ihm gesagt, das Kind sei von einem anderen…
Ben bekam Kopfschmerzen, je länger er über diese Sache nachdachte. Er brauchte Antworten, die ihm nur Chandler-Lytton geben konnte.
Es war sechs Uhr morgens. Die Sonne ging gerade auf, als er an Chandler-Lyttons Villa ankam. Die Straße war menschenleer, und es parkten keine Autos am Straßenrand. Alle Anwohner hatten eigene Garagen und Stellplätze auf ihren Grundstücken. Ben ließ seinen Wagen vor der Villa stehen und ging zu Fuß die Auffahrt hinauf. Er wusste, dass Chandler-Lytton Frühaufsteher war, aber in seinem Haus brannte kein Licht. Er ging zur Haustür und klopfte. Eine Klingel konnte er nirgends entdecken. Ben wartete, klopfte wieder, diesmal länger und, wie er hoffte, lauter. Dann rief er Chandler-Lyttons Namen, klopfte wieder. Nichts. Ein Rascheln im dichten Gebüsch, das die hohe Mauer verbarg, die wiederum das Haus vor neugierigen Blicken der Nachbarn schützte. Ein Vogel, dachte Ben, eine Katze, irgendein Tier. Er ging um das Haus herum, hoffte, irgendwas durch die Fenster zu erkennen. Vielleicht war Chandler-Lytton im hinteren Teil des Hauses und hörte ihn einfach nicht.
Auch dort lag alles im Dunkeln. Ohne große Hoffnung klopfte er gegen eine Fensterscheibe, die zur Küche gehörte. Er ging weiter, spähte durch die Terrassentür des Wohnzimmers, klopfte auch da. Nichts. Eine dunkle Gestalt spiegelte sich in der Glastür. Ben kam nicht mehr dazu, sich umzudrehen. Der Schlag auf seinen Kopf traf ihn unvorbereitet, und er verlor das Bewusstsein.
Als er zu sich kam, lag Chandler-Lyttons Garten immer noch in der Dämmerung. Er konnte nicht lange bewusstlos gewesen sein. Ben tastete vorsichtig seinen Kopf ab und fasste in Blut. Fluchend zog er seine Jacke aus, dann sein T-Shirt. Er knüllte es zusammen und drückte es auf die Wunde, zog die Jacke wieder an und stand langsam auf. Ihm wurde schwindelig, und er hatte das Gefühl, er müsste sich übergeben. Stöhnend lehnte er sich an die Terrassentür und sah sich um. Niemand. Die Nachbargrundstücke konnte er nicht einsehen wegen der hohen Mauern, aber in den oberen Stockwerken tat sich nichts.
Als sich die Übelkeit gelegt hatte, ging er vorsichtig um das Haus herum. Jeder Schritt dröhnte in seinem Kopf. Er ging die Auffahrt hinunter und sah, dass jemand das Tor zur Straße geschlossen hatte. Vorhin war es offen gewesen.
Ben rüttelte daran, es ließ sich keinen Zentimeter bewegen. Abgeschlossen. Er nahm das T-Shirt herunter, sah es sich an: Blut klebte daran, aber nicht so viel wie befürchtet. Die Wunde schien bereits zu heilen. Er suchte sich eine geeignete Stelle, dann kletterte er über das Tor und landete auf dem Bürgersteig. Die Kopfschmerzen ließen ihn fast wieder umfallen. Er stützte sich am Tor ab, atmete tief durch und ging langsam auf seinen Wagen zu.
Er stand dort, wo er ihn geparkt hatte, aber etwas war anders. Ben brauchte einen Moment, um zu verstehen, was es war: Der Wagen lag ein paar Zentimeter tiefer. Alle vier Reifen waren ohne Luft. Er tastete nach seinem Handy – es war nicht da. Verloren oder gestohlen? Mühsam kletterte er wieder über das Tor, die Kopfschmerzen lähmten ihn. Er schleppte sich die Auffahrt hinauf und um das Haus herum, fand kein Handy. Natürlich gestohlen. Im Haus würde es ein Telefon geben. Ben sah sich nach einem Stein um, fand einen großen neben dem Goldfischteich, nahm ihn und schlug die Terrassentür ein.
Falls er einen Alarm ausgelöst hatte, war es ein stiller. Die Polizei könnte in wenigen Minuten eintreffen. Ben ging durch das Wohnzimmer: Es war anders, als er es sich vorgestellt hatte. Moderne, helle Möbel gaben den dunklen Räumen der viktorianischen Villa eine unvermutete Leichtigkeit. Die Küche, in die er einen kurzen Blick warf, entsprach neuesten Standards, die Eingangshalle war großzügig und hell. Dort fand er ein Telefon. Er sah auf die Uhrzeitanzeige im Display: kurz vor sieben. Er war nur wenige Minuten ausgeknockt gewesen. Ben rief bei ImVac an, doch niemand meldete sich. Seltsam: Die Pforte war vierundzwanzig Stunden lang besetzt. Er versuchte es noch einmal, wieder meldete sich niemand. Als Nächstes rief er ein Taxi. Er nannte
Weitere Kostenlose Bücher