Das alte Königreich 01 - Sabriel
Schwert und die Glocken gesandt. Du wünschst dir nur, dass er lebt.«
»Ich spüre es«, entgegnete Sabriel schlicht. »Und ich muss herausfinden, ob mein Gefühl stimmt.«
»Vielleicht ist es so, auch wenn es ungewöhnlich wäre.« Mogget schien mit sich selbst zu reden; seine Stimme war ein leises Halbschnurren. »Ich bin schwerfällig geworden. Dieses Halsband würgt mich, es schnürt mir den Verstand ab…«
»Hilf mir, Mogget!«, flehte Sabriel plötzlich und streckte die Hand zum Kopf der Katze aus, um sie unter dem Halsband zu kraulen. »Ich muss es wissen – ich muss noch so vieles lernen!«
Mogget schnurrte, doch als Sabriel sich näher beugte, konnte sie das unendlich leise Läuten des winzigen Saraneth-Glöckchens durch das Schnurren hören und wurde so daran erinnert, dass Mogget keine Katze war, sondern eine Kreatur Freier Magie. Einen Moment fragte Sabriel sich, wie Mogget wirklich aussah und was sein wahres Wesen war.
»Ich bin der Diener von Abhorsen«, sagte Mogget schließlich. »Und da du Abhorsen bist, bleibt mir nichts anderes übrig als dir zu helfen. Doch du musst mir versprechen, dass du deinen Vater nicht zurückholen wirst, wenn sein Körper tot ist. Glaub mir, das würde er nicht wollen.«
»Ich kann es nicht versprechen. Aber ich werde nichts tun, was ich zuvor nicht gut überlegt habe. Und ich werde auf dich hören, wenn du bei mir bist.«
»Das dachte ich mir.« Mogget entzog Sabriel seinen Kopf. »Es stimmt, dass du bedauerlich unwissend bist, denn andernfalls würdest du kaum mit solcher Entschlossenheit derartige Versprechungen machen. Dein Vater hätte dich nie zur anderen Seite der Mauer bringen sollen.«
»Warum hat er es getan?« Das war die Frage, die sie während ihrer gesamten Schulzeit gequält hatte und die Abhorsen stets mit einem Lächeln und dem einen Wort »Notwendigkeit« abgetan hatte.
»Er hatte Angst«, antwortete Mogget und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Fisch zu. »In Ancelstierre warst du sicherer.«
»Wovor hatte er Angst?«
»Iss deinen Fisch«, drängte Mogget, als zwei Sendlinge mit Speisen aus der Küche kamen, die offenbar den zweiten Gang darstellten. »Wir unterhalten uns später. Im Studiergemach.«
9
Alte Messinglaternen erhellten das Studierzimmer. Sie wurden mit Chartermagie betrieben und brannten daher immer, verursachten keinen Ruß, keine Geräusche und sorgten für ein ebenso gutes Licht wie die elektrischen Lampen in Ancelstierre.
Bücher verbargen die geschwungenen Wände, außer an der Stelle, wo die Treppe von unten kam und eine Leiter hinauf zum Observatorium führte.
In der Mitte des Zimmers stand ein aus rotem Holz gefertigter Tisch mit schuppigen und von glänzenden Knopfaugen übersäten Beinen. Dekorative Flammen züngelten aus den Mündern der Drachenköpfe an jeder Ecke der Tischplatte, auf der sich ein Tintenfass, Federn, Papier und bronzene Stechzirkel befanden. Sessel aus dem gleichen roten Holz wie der Tisch standen rundum; ihre schwarze Polsterung wies eine Spielart des Silberschlüssel-Motivs auf.
Der Tisch war eines der wenigen Dinge, an die Sabriel sich noch erinnerte. »Drachenschreibtisch« hatte ihr Vater ihn genannt, und Sabriel hatte die Arme um eines der Drachenbeine geschlungen, während ihr Kopf noch nicht einmal die Unterseite der Tischplatte erreichte.
Sabriel strich mit der Hand über das glatte, kühle Holz, zugleich von fröhlichen Erinnerungen an ihre Kindheit, aber auch von Angst um ihren Vater überwältigt. Seufzend zog sie einen Sessel heran und legte die drei Bücher ab, die sie unter den Arm geklemmt hatte. Zwei schob sie nebeneinander dicht an sich heran, das andere fand seinen Platz in der Mitte des Tisches. Es kam aus dem einzigen mit Glas geschützten Fach der Bücherregale und lag jetzt wie ein stilles Raubtier da, vielleicht schlafend, vielleicht lauernd. Sein Einband war aus blassgrünem Leder, und Chartersymbole brannten in seinem Silberverschluss. Es war das Buch der Toten.
Die beiden anderen Bücher waren im Vergleich dazu unscheinbar. Sie enthielten Sprüche der Chartermagie, beschrieben die Symbole und erläuterten, wie diese Zeichen eingesetzt werden konnten. Nach dem vierten Kapitel im ersten Buch schwirrte Sabriel der Kopf. Jeder der beiden Bände hatte zwanzig Kapitel!
Zweifellos gab es auch viele andere Bücher, die hilfreich sein würden, doch Sabriel war immer noch zu müde und zittrig, um weitere Bände aus den Regalen zu nehmen. Sie wollte mit Mogget
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