Das alte Königreich 01 - Sabriel
Leute hatten offenbar Verbindung zu ihnen, oder sie hatten irgendwelche Abmachungen mit ihnen getroffen – und dieser Gestank war für Sabriel noch viel penetranter als der aus der Kanalisation.
Während sie naserümpfend die Menge musterte, packte Touchstone einen vorübereilenden Jungen an der Schulter. Sie redeten kurz miteinander, ein Silberpenny wechselte den Besitzer, dann tauchte der Junge in der Menge unter und Touchstone folgte ihm. Als er kurz zurückblickte und sah, dass Sabriel geistesabwesend vor sich hin starrte, nahm er sie bei der Hand und zog sie mit sich, ebenso Mogget, der sich wieder wie ein Pelzkragen um Sabriels Hals gelegt hatte.
Es war das erste Mal, dass Sabriel so nahen körperlichen Kontakt mit Touchstone hatte, und sie staunte, welchen Schock es ihr verursachte. Gewiss, sie war mit den Gedanken anderswo gewesen, und sein Griff war unerwartet gekommen, doch seine Hand fühlte sich größer an, als sie vermutet hatte, und war auf interessante Weise schwielig. Rasch entzog sie ihm die Hand und konzentrierte sich darauf, ihm und dem Jungen durch die Menge zu folgen.
Sie eilten über den Markt, entlang einer Gasse mit kleinen Ständen, wo hauptsächlich Fisch und Geflügel feilgeboten wurden. An diesem Ende des Hafens standen zahllose Kisten mit frisch gefangenen, zappelnden Fischen mit klaren Augen. Die Händler riefen ihre Preise aus oder machten auf besonders gute Angebote aufmerksam, und Käufer nannten den Preis, den sie zu zahlen bereit waren, oder versuchten zu feilschen. Leere Körbe, Beutel und Schachteln wurden herumgereicht, damit sie mit Fischen, Hummern, Kalmaren, Krebsen oder Muscheln gefüllt wurden. Münzen wechselten von Hand zu Hand; manchmal wurde auch der Inhalt ganzer Geldtaschen in die Gürtelbeutel der Verkäufer geleert.
Am anderen Ende des Marktes war es etwas ruhiger. Hier befanden sich Unmengen von Käfigen mit Geflügel, doch die Geschäfte waren schleppend, offenbar weil viele Hühner alt waren und grindig aussahen. Sabriel beobachtete, wie ein Mann mit einem Messer geschickt Hühner köpfte, die dann noch ein paar Sekunden lang wirr am Boden der Käfige umherrannten, und bemühte sich, ihre Todeserfahrung zu verdrängen.
Hinter dem Markt erstreckte sich ein leeres Grundstück. Es war anscheinend zuerst mit Feuer, dann mit Hacke und Schaufel brachgelegt worden. Sabriel fragte sich, warum, bis sie den Aquädukt sah, der weiter hinten parallel zu diesem Streifen Brachland verlief. Die im Tal lebenden Städter hatten demnach keine Abmachung mit den Toten. Dieser Teil der Stadt war von Aquädukten umgeben, und die Toten konnten sich ebenso wenig unter fließendem Wasser bewegen wie darüber.
Das Brachland hatte man vorsichtshalber angelegt, um die Aquädukte besser bewachen zu können – und tatsächlich sah sie weit oben eine mit Pfeil und Bogen bewaffnete Patrouille. Der Junge brachte sie zu einem Torbogen, der durch zwei der vier Aquädukt-Reihen führte. Auch hier hielten Schützen Wache. Kleinere Torbogen erstreckten sich an jeder Seite als Stützen des Aquädukt-Hauptkanals. Sie waren mit Dornbüschen überwuchert, um das unerlaubte Betreten durch Lebende zu verhindern, während das schnell fließende Wasser die Toten zurückhielt.
Sabriel zog ihren Umhang straffer, als sie durch den Torbogen gingen, doch die Wachen zollten ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit, als nötig war, um Touchstone einen Silberpenny abzuverlangen. Die Männer schienen niederrangige Soldaten zu sein, wahrscheinlich Konstabler und einfache Wächter. Keiner trug das Charterzeichen oder verfügte auch nur über eine Spur Freie Magie.
Jenseits des Aquädukts schlängelten sich Straßen wirr von einem holprig gepflasterten Platz in sämtliche Richtungen. Auf dem Platz stand ein eigenartiger Springbrunnen: Das Wasser sprudelte und schoss aus den Ohren einer Statue, die einen beeindruckenden gekrönten Mann darstellte.
»König Anstyr der Dritte.« Touchstone deutete auf den Springbrunnen. »Er hatte einen eigenartigen Humor. Ich bin froh, dass die Statue noch steht.«
»Wohin gehen wir?«, wollte Sabriel wissen. Jetzt, da sie sich sicher war, dass die Bürger der Stadt nicht mit den Toten zusammenarbeiteten, fühlte sie sich besser.
»Der Junge sagt, dass er ein gutes Gasthaus kennt.« Touchstone deutete auf den zerlumpten Straßenjungen, der sie angrinste, jedoch außer Reichweite einer Maulschelle blieb, mit der er offenbar grundsätzlich immer rechnete.
»Zu den drei Zitronen«, warf
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