Das alte Königreich 01 - Sabriel
Rogir hinter die Königin trat und ihr mit einem Dolch mit Sägezähnen die Kehle aufschlitzte. Er hatte einen Kelch, einen goldenen Kelch, das Eigentum der Königin, und damit fing er ihr Blut auf. Ich war zu langsam, viel zu langsam…«
»Dann stimmt die Geschichte gar nicht, die du mir in Heiligenhall erzählt hast«, flüsterte Sabriel, als Touchstones Stimme brach und ihm Tränen übers Gesicht liefen. »Die Königin hat nicht überlebt…«
»Nein«, murmelte Touchstone. »Aber ich habe nicht mit Absicht gelogen. In meinem Kopf war alles durcheinander.«
»Was ist dann passiert?«
»Die drei anderen Gardisten waren Rogirs Männer«, fuhr Touchstone fort, als er unter Tränen und kaum verständlich weitererzählte. »Sie griffen mich an, aber Vlare, eine der Hofdamen, warf sich auf sie. Ich wurde zum Berserker und tötete die drei Gardisten. Rogir war vom Schiff gesprungen und watete mit dem Kelch in der Hand zu den Steinen. Seine vier vermummten Zauberer standen wartend um den dritten Stein, der als Nächstes gespalten werden sollte. Ich konnte mich nicht rechtzeitig auf Rogir stürzen, das war mir klar, darum warf ich mein Schwert. Es flog zielsicher und traf ihn unmittelbar über dem Herzen. Er schrie, und das Echo hallte überall. Er drehte sich zu mir um und schritt, durchbohrt von meinem Schwert, auf mich zu. Dabei hielt er den mit Blut gefüllten Kelch, als wollte er ihn mir zum Trinken anbieten.
›Du magst meinen Körper zerfleischen‹, sagte er im Gehen, ›ihn zerreißen wie eine schlecht geschneiderte Robe. Aber ich kann nicht sterben.‹
Er trat bis auf Armeslänge vor mich hin, und ich blickte in sein Gesicht und sah nur das Böse, das so dicht hinter diesen vertrauten Zügen lag… dann kam ein blendend weißes Licht, und Glocken klangen… Glocken wie Eure, Sabriel… und Stimmen ertönten, raue Stimmen… Rogir fuhr zurück, der Kelch entglitt ihm, und Blut schwamm auf dem Wasser wie Öl. Ich drehte mich um, sah Gardisten auf der Treppe; eine in weißem Feuer brennende, sich drehende Säule; einen Mann mit Schwert und Glocken, dann fiel ich in Ohnmacht oder wurde bewusstlos geschlagen. Als ich wieder zu mir kam, war ich in Heiligenhall und sah Euer Gesicht. Ich weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin, wer mich dorthin brachte… Ich kann mich nur noch an Bruchstücke und Fetzen erinnern.«
»Du hättest es mir sagen sollen.« Sabriel versuchte so viel Mitleid in ihre Stimme zu legen, wie sie konnte. »Aber vielleicht musste es warten, bis die See den Bann brach. Sag mir – war der Mann mit dem Schwert und den Glocken Abhorsen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Touchstone. »Wahrscheinlich.«
»Ziemlich sicher, würde ich meinen«, fügte Sabriel hinzu. Sie blickte Mogget an und dachte an die Säule sich drehenden Feuers. »Du warst ebenfalls dort, Mogget, nicht wahr? Ungebunden, in deiner anderen Gestalt.«
»Ja, ich war dort«, erwiderte die Katze, »mit dem Abhorsen jener Zeit. Er war ein sehr starker Chartermagier und ein Meister der Glocken, nur ein wenig zu gutherzig, um es mit Verrat aufzunehmen. Ich hatte arge Schwierigkeiten, ihn nach Belisaere zu bringen. Deshalb kamen wir nicht rechtzeitig genug, die Königin oder ihre Töchter zu retten.«
»Was ist passiert?«, flüsterte Touchstone.
»Rogir war bereits einer der Toten, als er nach Belisaere zurückkehrte«, antwortete Mogget müde, als erzähle er einer Mannschaft hartgesottener Matrosen Seemannsgarn. »Doch das hätte nur Abhorsen erkannt, und der war nicht dort. Rogirs leiblicher Körper war irgendwo versteckt… ist noch irgendwo versteckt… in einer Gestalt Freier Magie, um seine Gegner zu täuschen.
Irgendwann auf dem Pfad seines Studiums hatte er das wirkliche Leben gegen Macht getauscht, und wie alle Toten musste er laufend Leben nehmen, um nicht im Tod unterzugehen. Doch die Charter im Königreich erschwerte das für ihn. Darum beschloss er, sie zu brechen. Er hätte sich damit begnügen können, ein paar der geringeren Chartersteine irgendwo weit entfernt zu zerschmettern, doch dann hätte er nur ein kleines Gebiet gehabt, um sein Unwesen zu treiben, und der Abhorsen hätte ihn bald zur Strecke gebracht. Darum beschloss er, die Großen Steine zu spalten, und dazu brauchte er königliches Blut – das seiner eigenen Familie. Oder Abhorsens Blut. Oder das der Clayr natürlich, aber das wäre noch viel schwerer zu bekommen gewesen.
Da er der Sohn der Königin war, schlau und sehr mächtig, hätte er seine
Weitere Kostenlose Bücher