Das alte Königreich 01 - Sabriel
zumindest werde ich etwas versuchen – wie eine Abhorsen es tun sollte, auch wenn du mir ständig unter die Nase reibst, dass ich deinem Ideal einer Abhorsen nicht genüge.«
Nach diesem Gefühlsausbruch setzte Schweigen ein. Touchstone wandte verlegen den Blick ab, während Mogget sie gähnend anschaute und die Schulter zuckte.
»Mir fällt leider nichts ein. Im Lauf der Jahrtausende bin ich dumm geworden – sogar noch dümmer als die Abhorsen, denen ich diene.«
»Ich glaube, es ist ein Plan so gut wie jeder andere«, sagte Touchstone unerwartet. Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Obwohl ich Angst habe.«
»Ich auch«, gestand Sabriel. »Aber wenn es morgen ein sonniger Tag wird, schleichen wir uns hinunter.«
»Ja.« Touchstone nickte. »Bevor die Angst uns ganz lähmt.«
20
Den sicheren, vom Aquädukt geschützten Teil Belisaeres zu verlassen, erwies sich als wesentlich schwieriger, als in ihn hineinzugelangen – vor allem durch den nördlichen Torbogen, der sie zu einer längst verlassenen Straße mit leeren Häusern führte, die sich in Richtung der nördlichen Hügel der Stadt schlängelte.
Am Tor hielten sechs Mann Wache, die um etliches misstrauischer und zuverlässiger zu sein schienen als jene am Hafentor. Vor Sabriel und Touchstone wartete schon eine andere Gruppe auf Durchlass. Neun Männer, deren Aussehen und Verhalten auf Brutalität und Gewalttätigkeit schließen ließ. Jeder der Männer trug Waffen, angefangen mit Dolchen bis zu einer Streitaxt mit breiten Klingen. Die meisten hatten überdies Kurzbogen über den Rücken geschlungen.
»Wer sind diese Männer?«, wandte Sabriel sich an Touchstone. »Was wollen sie im toten Teil der Stadt?«
»Beutejäger«, antwortete Touchstone. »Einige der Leute, mit denen ich mich gestern unterhielt, haben sie erwähnt. Manche Stadtteile wurden sehr schnell den Toten überlassen, und dort kann man noch eine Menge Kostbarkeiten finden. Aber es ist ein sehr riskantes Geschäft, möchte ich meinen.«
Sabriel nickte nachdenklich und blickte unauffällig zu den Männern, von denen die meisten an der Aquädukt-Wand saßen oder kauerten. Einige richteten misstrauische Blicke auf sie. Einen Moment befürchtete Sabriel schon, die Männer hätten die Glocken unter ihrem Umhang gesehen und sie als Nekromantin erkannt, aber dann wurde ihr klar, dass sie und Touchstone wahrscheinlich wie rivalisierende Beutejäger aussahen. Wer sonst sollte es wagen, den Schutz fließenden Wassers zu verlassen? Sabriel ähnelte tatsächlich einer Abenteuerin. Ihre Kleidung und ihre Rüstung waren zwar gewaschen und geschrubbt, aber noch immer alles andere als blütenrein. Außerdem war ihr Umhang noch ziemlich nass, weil man ihn nach dem Waschen nicht richtig aufgehängt hatte. Das einzig Angenehme war, dass alles nach Zitronenseife roch.
Sabriel hatte angenommen, dass die Beutejäger von den Wachen aufgehalten wurden; aber das war offenbar nicht der Fall. Sie warteten auf etwas, das plötzlich hinter Sabriel aufzutauchen schien, denn die sitzenden und kauernden Männer erhoben sich brummend und fluchend und stellten sich beinahe wie in Reih und Glied auf.
Sabriel blickte über die Schulter, um zu sehen, was auch die Beutejäger sahen – und erstarrte. Denn durch den Torbogen kamen zwei Männer und ungefähr zwanzig Kinder jeder Altersstufe zwischen sechs und sechzehn auf sie zu. Die Männer sahen ähnlich aus wie die Beutejäger, nur trugen sie lange Knuten mit vier geknoteten Peitschenschnüren. Die Kinder hatten Fußschellen um die Knöchel, die mit einer großen Kette verbunden waren. Ein Mann hielt die Kette und führte die Kinder in der Mitte der Straße entlang. Der andere Bursche ging hinterher und schwang immer wieder müßig die Peitsche über den kleinen Gestalten. Hin und wieder streiften die Knotenenden den Kopf der Kinder.
Touchstone trat näher an Sabriel heran und flüsterte: »Davon habe ich auch gehört.« Seine Hände fuhren zu den Degengriffen hinunter. »Aber ich hielt es bloß für das Geschwafel eines Betrunkenen. Die Beutejäger benutzen Kindersklaven als Köder für die Toten. Sie bringen sie in eine Gegend, damit die Toten dort angezogen werden, während sie anderswo plündern können.«
»Das ist ja entsetzlich!«, stieß Sabriel hervor. »Grauenvoll! Sie sind Sklavenhalter, keine Beutejäger. Wir müssen das unterbinden!«
Sie setzte sich in Bewegung und begann in Gedanken bereits einen Charterzauber, um die Unholde zu blenden und ihnen
Weitere Kostenlose Bücher