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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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hinaufsteigen und sich dort um die Vorbereitungen kümmern. Vorausgesetzt natürlich, dass Ellimere ihn nicht abfing und zum Schiedsgericht schleppte.

     

28
    SAM DER HANDELSREISENDE
     
    Ellimere fing Sam tatsächlich ab, und so saß er den Rest des Tages im Schiedsgericht, bei dem es um folgende Fälle ging: Um einen Dieb, der trotz des Wahrheitsfindungszaubers so sehr log, dass sich sein Gesicht bei jeder Lüge gelb verfärbte. Um die Schlichtung eines Besitzanspruchs, der sich als problematisch erwies, da die ursprünglichen Kontrahenten gestorben waren und beide Parteien gegensätzliche Behauptungen aufstellten. Um die rasche Verurteilung von kleinen Dieben und Gaunern, die auf die Nachsicht des Gerichts hofften, wenn sie ihre Taten sofort gestanden und nicht unter Zauber zur Wahrheit gezwungen werden mussten. Und um die ausgedehnte und langweilige Rede eines Advokaten, die sich obendrein als völlig nutzlos erwies, weil es dabei um ein Gesetz ging, das durch Touchstones Reformen schon vor über zehn Jahren abgeschafft worden war.
    Der Abend war frei von offiziellen Pflichten, allerdings hatte Ellimere beim Dinner wieder einmal eine jüngere Schwester einer ihrer zahllosen Freundinnen neben Sam gesetzt. Zu ihrer Überraschung unterhielt Sam sich sehr angeregt mit ihr.
    Nach dem Dinner erklärte Sam seiner Schwester, dass er die nächsten drei Tage in Ruhe studieren und sich zu diesem Zweck in tiefe Konzentration versetzen müsse. Er würde sich Essen und Trinken aus der Hofküche besorgen und sich die ganze Zeit in seinem Zimmer aufhalten, wo er auf gar keinen Fall gestört werden dürfe. Ellimere nahm diese Neuigkeit überraschend gut auf, was Sam ein schlechtes Gewissen bereite. Doch selbst das konnte seine wachsende Erregung nicht zügeln, und die langen Stunden, in denen er einen Sendling seines Selbst erschuf, steigerten seine gespannte Aufregung noch. Als er kurz nach Mitternacht fertig war, glich der Sendling ihm aus einiger Entfernung; doch wenn man sich ihm näherte, war der Unterschied augenfällig. Immerhin konnte er »Verschwinde!« und »Ich habe zu tun!« rufen, wenn jemand auf dem Flur stand, und seine Stimme klang fast so wie die von Sam. Alles in allem war sein Doppelgänger durchaus gelungen.
    Sam begab sich in sein Werkzimmer und holte, was er an Geld besaß, außerdem einige seiner Bastelarbeiten, die sich für die Reise als nützlich erweisen konnten. Auf die Wandschränkchen, die wie mürrische Wächter in den Zimmerecken hingen, blickte er nicht, träumte jedoch von ihnen, als er schließlich zu Bett ging: Im Traum sah er sich die Treppe wieder hinaufsteigen, die Schränkchen öffnen, das Glockenbandelier umschnallen und das Buch aufschlagen. Und als er darin las, flammten die Worte auf, trugen ihn zum Tod in den eisigen Fluss, und er konnte nicht mehr atmen…
    Als er aus dem Schlaf schreckte, stellte er fest, dass die Decken sich um seinen Hals gewickelt hatten und ihm die Luft abschnürten. Ein Gefühl panischer Angst überfiel ihn, bis ihm bewusst wurde, wo er sich befand. Sein rasender Herzschlag beruhigte sich. Außerhalb seines Zimmers schlug eine Uhr die vierte Morgenstunde. Sam hörte die Wächter, die ihre Runde drehten und sich dabei unterhielten. Er hatte nur drei Stunden geschlafen, doch es war an der Zeit, aufzustehen und sich in den Zauber zu hüllen. Sam der Handelsreisende musste die vertraute Umgebung verlassen.
    Es war noch dunkel, als er sich in der Kühle vor dem Morgengrauen aus dem Schloss stahl. In Chartersprüche der Stille und Unsichtbarkeit gehüllt, schlich er die Treppe und den steil abfallenden Korridor zu den Gärten hinunter. Er wich dem Wachposten aus, der zwischen den Rosen auf der untersten Terrasse patrouillierte, und gelangte zu einer Außentür, die sowohl durch Stahl wie auch durch Zauber verschlossen war. Zum Glück hatte Sam den Schlüssel für dieses Schloss an sich gebracht, und die Tür erkannte ihn an seinem Charterzeichen.
    Auf dem Stück zum Königsweg schlang er seine schweren Satteltaschen über die Schulter und fragte sich, ob er den Inhalt vielleicht noch einmal durchsehen und etwas zurücklassen sollte, zumal die Taschen an den Nähten aufzuplatzen drohten. Doch ihm fiel nichts ein, was er entbehren konnte; schließlich hatte er nur das Notwendigste eingepackt: eine Uhr, Hemden, Hosen und Unterwäsche zum Wechseln, Nähzeug, einen Beutel mit Toilettensachen, Seife sowie einen Rasierer, den er eigentlich noch gar nicht brauchte, das
Sehr

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