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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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des Aquädukts und folgte der Sternenallee, ehe er den gewundenen Königsweg hinaufstieg, der zum Schlosshügel führte. Vermutlich wartete Ellimere bereits auf ihn, da sie beide an diesem Morgen dem Schiedsgericht beisitzen sollten. Ellimere würde kühl und unnahbar sein in ihrer schwarzweißen Gerichtsrobe, den Elfenbein- und den Gagatstab in Händen, die beim Zauber der Wahrheitsfindung eingesetzt wurden. Und sie würde sehr verärgert sein, dass er, Sam, verschwitzt, schmutzig, unpassend gekleidet und nicht vorbereitet war – seine Stäbe waren verschwunden. Allerdings vermutete er, dass sie nur unters Bett gerollt waren.
    Das Schiedsgericht. Die Verpflichtungen für das Fest. Tennisschläger. Das
Buch der Toten.
Alles brandete wie eine gewaltige dunkle Woge auf ihn zu, die ihn zu verschlingen drohte.
    »Nein!«, flüsterte er und blieb so abrupt stehen, dass seine beiden Gardisten ihn beinahe anrempelten. »Ich werde gehen. Heute Abend breche ich auf!«
    »Was habt Ihr gesagt, Sir?«, fragte Tonin, die jüngere der beiden Gardisten. Sie war so alt wie Ellimere, mit der sie seit ihrer Kindheit eine tiefe Freundschaft verband. Bei Sams seltenen Ausflügen in die Stadt gehörte sie fast immer zu seiner Eskorte, und er war sicher, dass sie der Prinzessin jeden seiner Schritte meldete.
    »Ach, nichts, Tonin.« Sameth schüttelte den Kopf. »Ich hab nur laut gedacht. Das liegt vielleicht daran, dass ich es nicht gewohnt bin, so früh am Morgen aufzustehen.«
    Tonin und der andere Gardist tauschten hinter seinem Rücken Blicke der Belustigung aus. Auch sie standen jeden Morgen sehr früh auf, es schien ihnen jedoch nichts auszumachen.
    Sameth wusste nicht, was seine Gardisten dachten, als sie auf der Hügelkuppe angekommen waren und den kühlen Hof mit dem Springbrunnen in der Mitte betraten, der zum Westflügel des Schlosses führte. Doch er hatte die Blicke bemerkt, die sie gewechselt hatten, und war überzeugt, dass sie ihn nicht gerade für einen perfekten Prinzen hielten. Vermutlich teilten die meisten Bürger der Stadt diese Meinung. Das schmerzte Sam. Schließlich war er einer der klügsten Schüler in Ancelstierre gewesen und hatte sich in allem hervorgetan, was wichtig war. Cricket im Sommer und Rugby im Winter. Und er war der Beste in Chemie und allen anderen Fächern gewesen. Aber hier konnte er anscheinend gar nichts richtig machen.
    Die Gardisten verließen ihn vor seinem Gemach, doch weder legte Sam seine Gerichtsroben sofort bereit, noch machte er Anstalten, die Waschschüssel und die Kanne im gefliesten Alkoven zu benutzen, der ihm als Badezimmer diente. Das Schloss, das vor vielen Jahren bei der großen Feuersbrunst ein Raub der Flammen geworden war, hatte nur mit beschränkten Mitteln wieder aufgebaut werden können. Daher verfügte das Gebäude weder über die Dampfrohre und Heißwassersysteme des Abhorsen-Hauses noch des Clayr-Gletschers. Sam hatte jedoch Pläne für ein solches System. Es gab sogar noch einige der ursprünglichen Anlagen tief unter dem Schlossberg. Sam hatte nur noch nicht die Zeit gehabt, sich ein Bild von der Magie und der Technik zu machen, die für ihre Wiedererschließung erforderlich waren.
    »Ich werde gehen!«, sagte er entschlossen und blickte dabei auf das Wandgemälde, das eine Ernteszene darstellte. »Die Frage ist nur,
wie.«
    Fünf Minuten ging er in dem kleinen Zimmer auf und ab, ehe er eine Entscheidung traf und vor dem Silberspiegel stehen blieb, der an der Wand rechts von seinem schlichten Bett stand.
    »Ich werde jemand anderes sein«, sagte er, »nicht Prinz Sameth, sondern Sam, ein Handelsreisender, der sich wieder seinen Leuten anschließt, nachdem er in Belisaere Heilung von einer Krankheit gesucht hat.«
    Er lächelte und betrachtete sich im Spiegel. Prinz Sameth blickte ihm entgegen, elegant in rotgoldenem Wams, einem verschwitzten weißen Linnenhemd, hellbrauner Rehlederhose und Kniestiefeln mit vergoldeten Absätzen. Über diesem Hofstaat schaute ihm ein gewinnendes Gesicht entgegen, das Sam allerdings für zu jung, zu offen, zu weich hielt und das keine Erfahrungen widerspiegelte. Er brauchte eine Narbe oder eine gebrochene Nase oder dergleichen, um seine Rolle als Handelsreisender glaubhaft spielen zu können.
    Während er sich betrachtete, griff er in den endlosen Fluss der Charter, suchte hier ein Zeichen aus, dort ein Symbol und verband sie im Kopf zu einer Kette. Dann machte er mit dem Zeigefinger das endgültige Charterzeichen, worauf die Kette

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