Das alte Königreich 02 - Lirael
die Zeit nach der Sonne schätzen. Ich hoffe, ihr habt nicht lange gewartet.«
»Nur ein paar Minuten«, beruhigte Touchstone sie. »Gerade lange genug, uns ein wenig die Beine zu vertreten.«
»Er fliegt immer noch nicht gern.« Sabriel lächelte ihren Gemahl an. »Er hat kein Zutrauen zur Pilotin.«
Touchstone zuckte die Schultern und lachte. »Du wirst immer besser.«
Lirael spürte, dass er damit nicht nur das Fliegen des Papierseglers meinte. Zwischen Touchstone und Sabriel schien es ein geheimes Band aus Energie und Gefühlen zu geben. Diese beiden teilten irgendetwas Unsichtbares, das befreiendes Lachen brachte und ein Lächeln in Sabriels Augen zauberte.
»Wir haben nicht Gesehen, dass ihr bleibt«, fuhr Sanar fort. »Ich nehme an, dass wir uns da nicht getäuscht haben.«
»Nein, ihr habt euch nicht getäuscht«, erwiderte Sabriel. Das Lächeln war aus ihren Augen geschwunden. »Es gibt Schwierigkeiten im Westen, deshalb können wir uns hier nicht lange aufhalten. Gerade lange genug, uns von euch beraten zu lassen – wenn ihr es in diesem Fall könnt.«
»Wieder der Westen«, murmelte Sanar und wechselte einen besorgten Blick mit Ryelle. Auch die anderen Clayr wirkten beunruhigt. »In einem großen Teil des Westens Sehen wir nichts. Es gibt dort eine Macht, die nur ganz flüchtige Blicke zulässt. Trotzdem wissen wir, dass vom Westen her Schwierigkeiten kommen. Viele zukünftige Zeiten zeigen Bruchstücke davon, doch nie sind es genug, um ein Gesamtbild zu ergeben.«
Der König seufzte. »Es gibt auch in der Gegenwart schon mehr als genug Schwierigkeiten. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren sechs Chartersteine um Kante und den Roten See aufgestellt. Jahr für Jahr blieben jeweils nur zwei erhalten. Mir fehlt die Zeit, die übrigen wiederherzustellen. Wir fliegen jetzt dorthin, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu beheben, welcher Art sie auch sein mögen. Vor allem möchten wir herausfinden, wer oder was dafür verantwortlich ist. Aber ich habe nicht viel Hoffnung, dass es uns gelingt, wenn man bedenkt, dass er – oder es – stark genug ist, sich vor der Sicht der Clayr zu verbergen.«
»Es ist nicht immer die Stärke, die unsere Sicht verhindert«, gab die älteste der anwesenden Clayr zu bedenken. »Nicht einmal das Böse. Es gibt Mächte, die unsere Sicht aus Gründen ablenken, die wir nur ahnen können. Überdies Sehen wir zu viele Möglichkeiten der Zukunft viel zu kurz und flüchtig.«
Touchstone nickte. »Im ganzen Königreich widersetzt sich das Gebiet um den Roten See und um die Ausläufer des Bergs Abed unserer Herrschaft am stärksten. Und es zieht die Toten und die Freie Magie dort mehr hin als sonst wo. Vor vierzehn Jahren haben Sabriel und ich versprochen, die zerstörten Chartersteine neu aufzustellen und die Dörfer und Städte wieder aufzubauen, damit die Menschen dort wieder ohne Furcht vor den Toten und vor Freier Magie leben können. Von der Mauer bis zur Nördlichen Wüste haben wir diese Aufgabe erfüllt. Aber was sich uns im Westen widersetzt – was immer es ist –, können wir nicht besiegen. Von Kante abgesehen, ist dieser Teil des Westens immer noch die Wildnis, zu der Kerrigor sie vor über zweihundert Jahren gemacht hat.«
»Und ihr werdet eurer Aufgabe müde«, stellte die älteste Clayr fest. Sowohl Touchstone als auch Sabriel nickten. Doch obwohl sie ihre Müdigkeit eingestanden, zeigten sie Tatkraft und Entschlossenheit, und es sprach nichts dafür, dass sie ihren Pflichten nicht weiterhin nachgehen würden.
»Wir kommen nicht zur Ruhe«, sagte Touchstone. »Ständig gibt es irgendwelche neuen Schwierigkeiten oder Gefahren, deren sich nur der König oder die Abhorsen annehmen können. Sabriel hat es dabei noch schwerer als ich, weil noch zu viele Tote umgehen und es noch zu viele Narren gibt, die weitere Türen in den Tod öffnen wollen.«
»Wie diese Zauberin, die zurzeit das Chaos nahe Kante verursacht«, sagte Sabriel. »So geht es jedenfalls aus den Botschaften hervor, die wir erhalten. Sie ist eine Zauberin Freier Magie, die eine Bronzemaske trägt – die Anführerin einer beachtlichen Schar Toter und Lebender, die Dörfer und einsame Farmen von Kante bis fast nach Robles Town überfallen. Ihr müsst doch etwas davon Gesehen haben!«
»Normalerweise haben wir keine Probleme, Ereignisse zu Sehen, die sich in großer Entfernung zutragen, doch wir Sehen selten etwas in der Nähe des Roten Sees«, entgegnete Ryelle mit besorgter Miene. »Deshalb
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