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Das alte Königreich 03 - Abhorsen

Titel: Das alte Königreich 03 - Abhorsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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selbst. Manche schufen dabei besondere Umweltbedingungen, oder sie verformten die natürlichen Gegebenheiten der Zonen. Lirael nahm an, dass sie selbst eine jener Mächte war, die das Wesen des Flusses und der Tore veränderten.
    Das Vierte Tor war wieder ein Wasserfall, der diesmal nicht hinter einem Nebel verborgen lag. Auf den ersten Blick sah es aus, als stürzte das Wasser nur zwei oder drei Fuß tief, und der Fluss schien dann weiterzufließen wie zuvor.
    Doch aus dem
Buch der Toten
wusste Lirael es besser. Sie ging drei Schritte zurück und sprach die Formel, die ihr den Durchgang öffnen würde. Langsam begann sich ein dunkles Band vom Rand des Wasserfalles weg auszurollen und über dem Wasser zu schweben. Es war nur drei Fuß breit. Wie ein Streifen Nacht hing es vor ihr – eine Nacht ohne Sterne. Das Ende konnte Lirael nicht sehen.
    Sie trat auf den Pfad und bewegte die Füße anfangs ein wenig unsicher, ging dann aber voran. Dieser schmale Pfad war nicht nur der Weg durch das Vierte Tor – er bot die einzige Möglichkeit, die Fünfte Zone zu durchqueren. Der Fluss war hier zu tief, um darin zu waten, und besaß außerdem eine starke metamorphische Wirkung. Ein Nekromant, der sich in diesem Wasser aufhielt, würde eine geistige und körperliche Verwandlung erfahren – und nicht zum Besseren. Geister von Toten, die hier zurückzuwaten suchten, würden ihrer ursprünglichen lebenden Gestalt nicht mehr ähneln.
    Selbst die Durchquerung der Zone auf dem dunklen Pfad barg Gefahren. Größere Tote und Wesen Freier Magie benutzten ihn selbst gern, um die Fünfte Zone zu durchqueren, und zwar in die andere Richtung, zum Leben. Sie warten, bis ein Nekromant den Pfad öffnet, und benutzen ihn sofort, wobei sie aus dem Nichts mit aller Wildheit über den Pfadschöpfer herfallen.
    Lirael wusste es, dennoch war es nur das plötzliche Bellen der Hündin, das sie warnte, als etwas den Pfad entlanggestürmt kam. Es mochte einst menschlich gewesen sein, doch der lange Aufenthalt im Totenreich hatte es in etwas Abstoßendes und Furchteinflößendes verwandelt. Es lief auf Armen und Beinen und bewegte sich fast wie eine Spinne. Das bizarre Wesen war fett und wulstig, und sein Halsmuskel ließ es mit hocherhobenen Kopf geradeaus sehen, auch wenn es auf allen vieren lief.
    Lirael blieb nur ein Moment, um mit ihrer Klinge zuzustoßen. Die Spitze drang durch eine fleckige Wange und trat am Nacken wieder aus. Trotz der Funkenfontänen, mit denen sich die Freie Magie durch sein Geistfleisch fraß, kämpfte das Wesen sich vorwärts fast bis zum Griff der Klinge. Feuerrote Augen stierten auf Lirael. Die Kreatur geiferte und fauchte.
    Lirael trat nach ihr, um ihr Schwert frei zu bekommen, und läutete gleichzeitig Saraneth. Doch ihr misslang die Bewegung, und die Glocke läutete falsch. Ein Misston schallte ins Totenreich hinaus, und statt ihren ganzen Willen auf die Tote Kreatur zu konzentrieren und sie beherrschen zu können, fühlte Lirael, wie die Realität ihr entglitt. Ihre Gedanken zerstreuten sich, und einen Moment vergaß sie vollkommen, was sie tat.
    Eine Sekunde später wurde es ihr bewusst. Panik durchfuhr sie. Sie sah, dass die Kreatur sich von der Klinge befreit hatte und zum erneuten Angriff ansetzte.
    »Steck die Glocke ein!«, bellte die Hündin, während sie sich kleiner machte und zwischen Liraels Beinen durchzukommen versuchte, um die Kreatur anzugreifen. »Steck die Glocke ein!«
    »Was?«, rief Lirael. Dann kehrte das Entsetzen wieder, als sie erkannte, dass ihre Hand noch immer Saraneth läutete, ohne dass es ihr bewusst war. Hastig griff sie nach dem Klöppel und brachte die Glocke zum Verstummen. Sie schlug noch einmal, als Lirael sie mit zitternder Hand in den Beutel zurücksteckte.
    Dann aber war Lirael für einen winzigen Augenblick unaufmerksam – und in diesem Augenblick griff das Wesen an. Es sprang, um sie unter seinem abstoßenden, bleichen Körper zu begraben. Doch die Hündin bemerkte, wie die Kreatur zum Sprung ansetzte, und erriet ihre Absicht. Statt zwischen Liraels Beinen durchzuschlüpfen, schnellte sie vor und warf Lirael mit ihren kräftigen Vorderpfoten zu Boden.
    Lirael landete auf den Knien, und die Kreatur flog über sie hinweg. Ein klauenbewehrter Finger bekam eine Locke ihres Haares zu fassen und riss sie aus. Lirael spürte es kaum, als sie sich hastig auf dem schmalen Weg herumdrehte und wieder auf die Beine zu kommen versuchte. Sie hatte ihr Selbstvertrauen verloren und war noch

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