Das alte Königreich 03 - Abhorsen
Hilf uns, so gut du kannst«, befahl Lirael.
»So gut ich kann«, stimmte Mogget mit einem gerissenen Lächeln zu. Seine Antwort klang fast wie eine Frage.
Lirael sah sich um; dann schritt sie in die Mitte eines Ringes aus Steinen, die von Flechten überwachsen waren, wo der Fußweg ein Stück weit eben verlief. Sie versicherte sich, dass sie den Dunkelspiegel in der Gürteltasche hatte. Dann zog sie Nehima und Saraneth. Diesmal hielt sie die Glocke am Griff gerade nach unten. So konnte es zwar leichter geschehen, dass sie ungewollt läutete, aber sie konnte sie auch schneller benutzen.
»Ich werde hier ins Totenreich gehen«, sagte sie. »Ich verlasse mich auf euch, dass ihr mich beschützt. Ich komme zurück, so schnell ich kann.«
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«, fragte Sam, holte die Panflöten hervor und legte die Hand auf den Schwertgriff. Lirael konnte sehen, dass es ihm ernst war.
»Nein«, sagte sie. »Du hast hier mehr als genug zu tun. Hedge wird uns an diesem Tor nicht in Ruhe lassen. Spürst du nicht die Toten? Sie werden bald hier angreifen, und jemand muss mein lebendes Ich beschützen, während ich im Totenreich bin. Ich beauftrage dich damit, Prinz Sameth. Wenn du genug Zeit hast, beschwöre eine Schutzraute.«
Sam nickte ernst und sagte: »Ja, Tante Lirael.«
»Tante?«, fragte Lieutenant Tindall, doch Lirael hörte ihn gar nicht. Sie hatte sich hinuntergebeugt und die Fragwürdige Hündin umarmt, wobei sie das schreckliche Gefühl niederkämpfte, dass es vielleicht das letzte Mal war, dass sie in der Welt der Lebenden weiches Hundehaar an ihrer Wange spürte.
»Selbst wenn ich herausfinde, wie die Sieben damals Orannis besiegt haben – wie können wir das noch einmal vollbringen?«, flüsterte sie der Hündin ins Ohr, so leise, dass es sonst niemand hören konnte.
Die Fragwürdige Hündin blickte sie statt einer Antwort mit ihren traurigen braunen Augen an. Lirael erwiderte ihren Blick mit demselben Ausdruck. Dann lächelte sie ein wehmütiges, bittersüßes Lächeln.
»Wir haben es weit geschafft vom Gletscher hierher, nicht wahr?«, sagte sie. »Und jetzt liegt noch ein Stück vor uns.«
Sie stand auf und öffnete die Tür in den Tod. Als die Kälte in ihren Körper drang, hörte sie Sam irgendetwas sagen und einen fernen Ruf. Doch die Geräusche schwanden, ebenso das Tageslicht. Lirael, die treue Hündin an ihrer Seite, hob ihre Klinge und trat ein ins Totenreich. Ihr Atem kondensierte und Reif bildete sich um Mund und Nase. Die Fragwürdige Hündin tat einen Schritt vorwärts an Liraels Seite, verschwand und hinterließ einen Umriss aus goldenem Licht, der langsam verblasste.
»Nick! Was ist mit Nick?«, rief Sam hastig, schlug sich an die Stirn und fluchte. »Ich habe vergessen zu fragen!«
»Bewegung auf dem Kamm!«, rief jemand und löste hektische Aktivität aus. Tindall und Gotley rannten zu ihren Zügen, und Major Greene brüllte Befehle. Die Südlinge, die sich niedergelassen hatten, um Sam zuzuhören, erhoben sich. Einige stapften den Hang hinauf, und die große Masse setzte sich in Bewegung.
Zur gleichen Zeit begann es jenseits des Hügels häufiger zu blitzen, und Donner klang herüber, heftiger und beinahe ohne Unterlass.
»Ich werde die Kompanie im Kreis aufstellen«, rief Greene. »Wir igeln uns hier ein.«
Sam nickte. Er konnte Tote jenseits des Kammes spüren. Fünfzig oder sechzig Totenhände kamen in ihre Richtung.
»Tote!«, sagte er. Er blickte den Hang hoch, dann wieder zu Liraels erstarrtem Körper und dann zu den Südlingen, die sich auf den Hang zu bewegten, nicht zurück ins Tal. Die Soldaten liefen bereits in Richtung des Fußwegs in ihre neuen Stellungen. Nun stand nichts mehr zwischen den Südlingen und dem Verderben, das ihnen drohte.
»Verdammt!«, fluchte Greene. »Ich dachte, Sie hätten sie zur Vernunft gebracht!«
»Ich werden zu ihnen reden!«, erklärte Sam. Es war eine spontane Entscheidung. Die Toten waren noch wenigstens fünf Minuten entfernt, und Lirael hatte ihm zuvor aufgetragen, die Südlinge aufzuhalten. Sie würde nicht in Gefahr sein, wenn er sich beeilte. »Ich bin in ein paar Minuten zurück. Major Greene, weichen Sie nicht von Lirael! Mogget, beschütze sie!«
Mit diesen Worten rannte er auf eine Gruppe von Südlingen zu, die er schon gesehen, aber nicht für wichtig gehalten hatte – bis vor einem Augenblick, als ihm ein Gedanke kam. Die Gruppe wurde von einer alten, weißhaarigen Matriarchin angeführt, die viel
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