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Das alte Königreich 03 - Abhorsen

Titel: Das alte Königreich 03 - Abhorsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Sie sah, wie Tote aus der dunklen Masse des Achten Tores auftauchten. Jedes Mal, wenn einer erschien, hielt sie ihn für Hedge. Sie konnte mehr Tote spüren als sehen, doch sie alle glitten nur vorbei, schwebten sofort himmelwärts und verschwanden zwischen den Sternen. Doch Hedge, der sich nur wenige Minuten hinter Lirael und der Hündin befunden hatte, kam nicht durchs Achte Tor.
    Jetzt erst bemerkte Lirael, dass die Hündin noch immer unverwandt zum Himmel blickte, und ihr blieb fast das Herz stehen. Die Hündin würde doch nicht den Rufen des Neunten Tores folgen?
    Endlich senkte die Hündin den Kopf und bellte leise.
    »Auch meine Stunde ist noch nicht da«, sagte sie, und Lirael wagte wieder zu atmen. »Solltest du jetzt nicht tun, wofür wir ins Totenreich gekommen sind, Gebieterin?«
    »Ich weiß«, sagte Lirael und bedauerte die vergeudete Zeit. Sie berührte den Dunkelspiegel in ihrer Gürteltasche. »Was ist, wenn Hedge kommt, während ich hineinsehe?«
    »Wenn er bis jetzt nicht gekommen ist, wird er wahrscheinlich gar nicht kommen«, erwiderte die Hündin und schnüffelte über den Fluss. »Nur wenige Nekromanten wagen sich zum Neunten Tor, denn es liegt in ihrer Natur, sich seinem Ruf zu entziehen.«
    »Oh«, sagte Lirael erleichtert.
    »Doch auf dem Rückweg wird Hedge gewiss irgendwo auf uns warten«, fuhr die Hündin fort und versetzte der Erleichterung einen Dämpfer. »Aber jetzt werde ich dich beschützen.«
    Lirael lächelte. Es war ein besorgtes Lächeln, das ihre Liebe und Dankbarkeit verriet. Sie war doppelt verletzlich. Sie hatte ihren Körper draußen im Leben in Sams Obhut zurückgelassen, und nun musste sie ihren Geist hier im Tod in der Obhut der Hündin lassen.
    Aber sie musste tun, was getan werden musste, egal um welchen Preis.
    Zuerst stach sie sich mit Nehima in die Fingerspitze, bevor sie das Schwert wieder in die Scheide schob. Dann holte sie den Dunkelspiegel hervor und öffnete ihn mit einem entschlossenen Klicken.
    Blut rann über ihren Finger, und ein Tropfen fiel zum Himmel empor statt hinunter ins Wasser. Doch Lirael bemerkte es nicht. Sie rief sich Seiten aus dem
Buch des Erinnerns und Vergessens
ins Gedächtnis. All ihre Gedanken waren darauf gerichtet, als sie ihren Finger an den Spiegel hielt und mit einem Blutstropfen die dunkle Fläche berührte. Sofort breitete sich der Tropfen aus und bildete eine dünne Schicht über dem Glas.
    Lirael hob den Spiegel und hielt ihn sich ans rechte Auge, während sie mit dem linken ins Totenreich hinausblickte. Das Blut verlieh dem Spiegel eine leicht rötliche Färbung, doch der Eindruck schwand, als sie hineinblickte und die Dunkelheit sich öffnete. Erneut sah Lirael durch das Spiegelglas in einen fremden Ort, nahm gleichzeitig aber das funkelnde Wasser der Neunten Zone wahr. Die beiden Bilder verschmolzen, und Lirael sah die wirbelnden Lichter und die Sonnen auf eine verwirrende Weise rückwärts durch den Strom des Todes wandern, und sie spürte, dass sie schneller und schneller in eine unglaublich ferne Vergangenheit fiel.
    Lirael konzentrierte sich darauf, was sie sehen wollte, und ihre linke Hand sank unbewusst an ihren Glockengurt und berührte die Glocken eine nach der anderen.
    »Kraft meines Blutes«, sagte sie, und ihre Stimme wurde mit jedem Wort fester und zuversichtlicher, »kraft meines Erbes, kraft der Charter und der Sieben, die sie woben, begehre ich durch den Vorhang der Zeit an den Anfang zu blicken. Ich will sehen, wie Orannis geschlagen und gebannt wurde, und somit erfahren, wie es noch einmal getan werden kann. Dies ist mein Wille!«
    Lange nach ihren Worten wanderten die Sonnen noch immer rückwärts, und Lirael mit ihnen, bis alle Sonnen eins waren und sie fast blind war von ihrem Licht. Dann erlosch das Licht, und sie blickte hinaus in eine dunkle Leere. Ein einziger ferner Lichtpunkt leuchtete in der Leere, und auf den flog sie zu, und bald war es kein Lichtpunkt mehr, sondern ein Mond und dann ein gewaltiger Planet. Sie fiel durch seinen Himmel und glitt durch die Luft über einer Wüste, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte, eine Wüste, von der die ganze Welt umspannt wurde, wie Lirael gefühlsmäßig wusste. Nichts regte sich auf der heißen, ausgedörrten Erde. Nichts wuchs oder lebte dort.
    Die Welt drehte sich unter ihr, schneller und schneller, und Lirael sah, wie in Urzeiten Leben entstand und wieder vernichtet wurde. Dann fiel sie erneut durch die Sonnen und blickte in eine andere Leere,

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