Das alte Königreich 03 - Abhorsen
ebenfalls nieder, doch ihre Ohren blieben gespitzt und die Augen wachsam, während die Nacht sich herabsenkte.
Gegen Mitternacht schüttelte sich die Hündin und weckte zuerst Lirael, indem sie ihr übers Gesicht leckte, und dann Sam, dem sie eine Pfote auf die Brust presste. Beide waren sofort wach und griffen nach ihren Schwertern, bevor sie den schwachen Schimmer der Charterzeichen am Halsband der Hündin erkannten.
Das kalte Wasser des Bachs weckte ihre Lebensgeister. Als sie von den notwendigen Verrichtungen zurückkamen, machten alle drei sich hungrig an ein kurzes Frühstück aus Trockenfleisch, hartem trockenem Brot und Trockenfrüchten, wobei die Hündin von einem Kaninchen oder einem Stück Echsenfleisch schwärmte.
Sie konnten die Regenwolken in der Dunkelheit nicht sehen, woran auch der funkelnde Sternenhimmel und der aufgehende Mond nichts änderten. Aber sie wussten, dass die Wolken da waren, hoch im Norden.
»Wir werden uns sofort auf den Weg machen müssen, wenn der Zauber gewirkt ist«, meinte die Hündin warnend, während Lirael und Sam diskutierten, wie sie die Wolken und den Regen beschwören sollten. »Solch eine Chartermagie wird alles Tote und jede Kreatur Freier Magie im Umkreis vieler Meilen auf den Plan rufen.«
»Wir müssen auf jeden Fall weiter«, sagte Lirael. Sie fühlte sich ein wenig erholt nach dem Schlaf, doch sie sehnte sich immer noch nach der Annehmlichkeit ihres Bettes in ihrem Zimmer in der Großen Bibliothek der Clayr. »Bist du bereit, Sam?«
Sam schürzte die Lippen. »Ich überlege gerade, ob du mit einer kleinen Abänderung des Zaubers einverstanden wärst. Ich glaube nämlich, dass wir eine größere Wirkung benötigen, um die Wolken so weit herzuholen.«
»Sicher«, sagte Lirael. »Was schwebt dir denn vor?«
Sam erklärte es rasch, dann noch einmal langsam, um sicherzugehen, dass Lirael genau wusste, was er tun würde. Üblicherweise würden sie beide dieselben Zeichen zur selben Zeit pfeifen. Sam wollte nun andere, aber einander ergänzende Zeichen pfeifen, im Endeffekt zwei verschiedene Wetterzauber miteinander verbinden. Sie würden den Zauber aktivieren, indem sie zwei Meisterzeichen gleichzeitig rezitierten, während normalerweise nur eines erforderlich war.
»Wird es so gehen?«, fragte Lirael besorgt. Sie hatte keine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit einem anderen Chartermagier bei einem solch komplexen Zauber.
»Er wird viel mächtiger sein«, meinte Sam zuversichtlich.
Lirael blickte fragend zur Hündin, aber die hatte nicht zugehört. Sie starrte nach Süden, alle Sinne auf irgendetwas gerichtet, das Lirael und Sam nicht sehen oder spüren konnten.
»Was ist?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte die Hündin. Sie legte den Kopf schief, und ihre gespitzten Ohren zuckten, als sie in die Nacht hinein lauschte. »Ich habe das Gefühl, dass uns etwas folgt, aber es ist noch sehr weit weg…«
Sie blickte Lirael und Sam an.
»Macht euren Wetterzauber, dann verschwinden wir von hier!«
Drei oder vier Meilen flussabwärts stand ein sehr kleiner Mann, fast ein Zwerg, im seichten Wasser. Seine Haut war knochenweiß, sein Kopfhaar und Bart sogar noch heller, so dass sie in der Dunkelheit leuchteten, selbst im Schatten der Bäume, deren Äste weit übers Wasser ragten.
»Ich werde es ihr zeigen«, murmelte der Albino wütend zu sich selbst. »Zweitausend Jahre Sklaverei, und dann…«
Er verstummte, und blitzschnell tauchte seine knorrige Hand ins Wasser. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie einen zappelnden Fisch, den er sofort hinter den Augen durchbiss. Seine Zähne schimmerten hell im Sternenlicht; sie waren schärfer als jedes menschliche Gebiss.
Der Zwerg biss erneut in den Fisch, und Blut tropfte ihm in den Bart. Binnen weniger Minuten hatte er seinen Fang verzehrt und spuckte fluchend die Gräten aus.
Als er fertig war, reinigte er sorgfältig Gesicht und Bart und trocknete seine Füße. Das Blut auf seinem schlichten Gewand störte ihn offensichtlich nicht. Doch während er dem Ufer des Baches folgte, verblassten die Flecken, und der Stoff war wieder weiß und sauber.
Ein lederner Gürtel hielt das Gewand um seine Körpermitte; statt der Schnalle befand sich dort eine kleine Glocke, die der Albino die ganze Zeit umklammert hielt, während er nur mit einer Hand fischte und sich sauber machte. Doch seine Vorsicht ließ nach, als er auf dem nassen Gras ausrutschte. Die Glocke läutete, während er auf ein Knie fiel. Es war ein heller
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