Das alte Königreich 03 - Abhorsen
Hedge! Du hast keine Zeit mehr!«
Hedge neigte unterwürfig den Kopf. Er wagte nicht zu sprechen. Er wollte aus der Reichweite der unmenschlichen Kraft dieser Hände kriechen, hatte aber Angst, sich zu bewegen.
Der Regen wurde dichter, und der weiße Rauch verschwand wieder in Nicks Nase und Mund. Nach ein paar Sekunden war nichts mehr zu sehen, und Nick sank leblos zusammen.
Hedge fing seinen Kopf, bevor er in den Schlamm sinken konnte. Dann hob er Nicks schlaffen Körper hoch und nahm ihn vorsichtig auf die Schulter. Das Bein eines gewöhnlichen Mannes wäre im übermenschlichen Griff der Kreatur gebrochen, die von Nick Besitz ergriffen hatte, doch Hedge war kein gewöhnlicher Mann. Er hob Nick ohne Mühe hoch, als würde er keinerlei Schmerzen verspüren.
Er hatte Nick bereits den halben Weg zum Zelt getragen, als der sich zu regen und zu husten begann.
»Haltet still, Meister«, sagte Hedge und beschleunigte seine Schritte. »Ich habe Euch gleich aus dem Regen.«
»Was ist passiert?«, krächzte Nick. Seine Kehle fühlte sich an, als hätte er gerade ein halbes Dutzend Zigarren geraucht und eine Flasche Brandy getrunken.
»Ihr seid ohnmächtig geworden«, erklärte Hedge und trat mit seiner Last ins Zelt. »Seid Ihr in der Lage, Euch selbst abzutrocknen und ins Bett zu gehen?«
»Ja, natürlich!«, sagte Nick schroff, doch seine Beine zitterten, als Hedge ihn auf die Füße stellte, und er suchte Halt an einer Reisetruhe. Über ihm trommelte der Regen auf die Planen, begleitet von grollendem Donner.
»Gut«, erwiderte Hedge und reichte ihm ein Handtuch. »Ich muss gehen und die Nachtmannschaft einweisen. Dann werde ich mich um den zweiten Kahn kümmern. Es wäre wohl am besten, Ihr würdet Euch jetzt hinlegen, Herr. Ich sorge dafür, dass jemand Euch zur Hand geht, Euch zu essen bringt und sich um Eure Bedürfnisse kümmert.«
»Ich kann mich selbst um mich kümmern«, widersprach Nick, wenngleich er des Zitterns nicht Herr wurde, als er sein Hemd auszog und sich kraftlos abzutrocknen begann. »Und auch die Nachtmannschaft beaufsichtigen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Hedge und beugte sich zu Nick. Seine Augen schienen größer zu werden und sich mit flackerndem rotem Licht zu füllen, als wären sie Fenster, hinter denen irgendwo in seinem Schädel ein großer Ofen brannte.
»Es wäre am besten, wenn Ihr Euch jetzt hinlegt«, wiederholte er. Sein Atem war heiß und metallisch in Nicks Gesicht. »Ihr braucht Euch jetzt nicht um die Arbeit zu kümmern.«
»Ja«, pflichtete Nick teilnahmslos bei und hielt mit dem Abtrocknen inne. »Es wäre am besten für mich, wenn ich mich jetzt hinlege…«
»Ihr werdet hier warten, bis ich wiederkomme«, befahl Hedge. Sein gewohnter unterwürfiger Ton war verschwunden. Er stand vor Nick wie ein Schulrektor, der sich einen Schüler vornahm.
»Ich werde hier warten, bis Ihr wiederkommt«, murmelte Nick.
»Gut«, sagte Hedge. Er lächelte böse, wandte sich um und verschwand nach draußen in den Regen, der sofort verdampfte, wo er seine Kopfhaut traf. Ein paar Schritte weiter wehte der Nebel fort, und der Regen strömte an seinem Haar hinunter.
Im Zelt trocknete Nick sich weiter ab, zog einen schlecht geflickten Pyjama an und begab sich auf sein Nachtlager aus Fellen. Sein Reisebett aus Ancelstierre war vor einigen Tagen zusammengebrochen, die Federn waren verrostet, die Tücher verrottet.
Er schlief rasch ein, fand aber keine Ruhe. Er träumte von den beiden Silberhemisphären und von seiner Blitzfarm, die jenseits der Mauer errichtet wurde. Er sah, wie die Hemisphären die Energie von tausend Blitzen aufsogen und dabei die Kraft überwanden, die sie voneinander abstieß. Er sah sie schließlich mit der Kraft von zehntausend Sandstürmen aufeinander zuschnellen… und dann begann der Traum wieder von vorn. Er konnte nicht sehen, was geschah, wenn die Hemisphären aufeinander prallten.
Draußen fiel der Regen in dichten Schleiern. Blitze schlugen ununterbrochen im Bereich der Grube ein. Donner rollte und ließ die Erde beben, während die Totenhände der Nachtmannschaft in die Seile griffen, langsam die erste Silberhemisphäre zum Roten See zogen und die zweite aus der Grube schafften.
7
Eine letzte Bitte
Zwei Tage nach Liraels und Sams allzu wirksamem Wetterzauber regnete es noch immer. Trotz der Wasser abstoßenden Kleidung – die Sendlinge hatten offenbar an alles gedacht – waren sie meist völlig durchnässt. Zum Glück wurde der Zauber
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