Das alte Königreich 03 - Abhorsen
Hemisphäre wurde achtmal hintereinander getroffen, doch der neunte Blitz ging sowohl bei der einen wie auch der anderen silbernen Halbkugel daneben und traf zwei Arbeiter.
Aber denen schien es nichts auszumachen, wie ein Teil von Nicks Verstand wahrnahm. Wenn sie nicht Feuer fingen oder verstümmelt wurden, arbeiteten sie weiter, als wäre nichts geschehen. Doch diese Information blieb nicht in seinem Kopf, denn seine Gedanken waren stets so intensiv auf das eigentliche Ziel gerichtet, dass alle anderen Überlegungen verdrängt wurden.
»Wir müssen die erste Hemisphäre abtransportieren«, sagte er und kämpfte gegen die Atemnot, die ihn zusammen mit der Übelkeit befiel, wenn er dem Silbermetall zu nahe kam. »Und wir brauchen einen zusätzlichen Kahn. Beide Hemisphären passen nicht auf einen, nicht bei fünfzig Fuß Abstand. Ich hoffe, meine Einfuhrgenehmigung erlaubt uns zwei Schiffsladungen… Wie dem auch sei, wir haben keine Wahl. Und wir müssen uns beeilen.«
»Wie Ihr wünscht, Meister«, erwiderte Hedge und blickte Nick an, als erwarte er noch etwas anderes.
»Ich wollte fragen, ob Ihr eine Mannschaft gefunden habt«, sagte Nick schließlich, als die Stille peinlich wurde. »Für die Kähne.«
»Ja«, erwiderte Hedge. »Sie sammeln sich am See. Männer wie ich, Meister. Solche, die in der Armee von Ancelstierre gedient haben, in den Gräben Hochbrücks. Jedenfalls bis die Nacht sie von ihren Vor- und Horchposten verschwinden und den Weg über die Mauer finden ließ.«
»Ihr meint Deserteure? Kann man denen denn vertrauen?«, fragte Nick. Eine Hemisphäre durch menschliche Dummheit zu verlieren oder zusätzliche Schwierigkeiten beim Grenzübertritt nach Ancelstierre konnte er am wenigsten gebrauchen. Das durfte nicht geschehen.
»Keine Deserteure, Meister, o nein«, erwiderte Hedge lächelnd. »Nur Vermisste, die zu weit von zu Hause sind. Man kann ihnen trauen. Dafür habe ich gesorgt.«
»Und der zweite Kahn?«, fragte Nick.
Hedge blickte zum Himmel. Seine Nasenflügel weiteten sich, als er die Luft roch. Er gab keine Antwort. Auch Nick blickte hoch, und ein schwerer Regentropfen traf seinen Mund. Er leckte sich die Lippen; dann spuckte er, als sich ein seltsames taubes Gefühl die Kehle hinunter ausbreitete.
»Das dürfte nicht sein«, flüsterte Hedge zu sich selbst, während der Regen heftiger wurde und ein Wind um sie herum aus dem Nichts kam. »Durch Magie herbeigerufener Regen aus dem Nordosten. Das muss ich sofort untersuchen, Meister.«
Nick zuckte die Schultern. Ihm war nicht klar, wovon Hedge redete. Der Regen löste ein seltsames Gefühl in ihm aus, weckte ein anderes Ich in ihm. Alles um ihn her war wie ein Traum, und zum ersten Mal fragte er sich, was er hier eigentlich machte.
Dann stach ein wilder Schmerz durch seine Brust, und er stürzte um. Hedge fing ihn und legte ihn auf die Erde, die sich zusehends in Schlamm verwandelte.
»Was habt Ihr, Meister?«, fragte Hedge. Seine Stimme klang neugierig, doch ohne Mitgefühl.
Nick stöhnte und griff sich an die Brust. Seine Beine strampelten. Er versuchte zu sprechen, doch nur Speichel kam aus seinem Mund. Seine Pupillen zuckten hin und her und glitten dann nach oben.
Hedge kniete wartend neben ihm. Noch immer fiel Regen auf Nicks Gesicht und verursachte ein kurzes zischendes Geräusch, sobald er die Haut traf. Einen Augenblick später drang Rauch aus Nase und Mund des jungen Mannes und zischte im Regen.
»Was habt Ihr, Meister?«, wiederholte Hedge unsicher.
Nicks Mund öffnete sich, und mehr Rauch stieg auf. Seine Hand bewegte sich zu rasch für Hedges Augen. Seine Finger krallten sich mit ungeheurer Kraft um das Bein des Nekromanten. Hedge biss die Zähne zusammen, rang den Schmerz nieder und fragte erneut: »Meister?«
»Narr!«, sagte das Wesen, das sich Nicks Stimme bediente. »Jetzt ist nicht die rechte Zeit, nach unseren Feinden Ausschau zu halten. Sie werden diese Grube bald genug finden, aber dann werden wir längst fort sein. Du musst sofort einen zweiten Kahn beschaffen und die Hemisphären an Bord bringen. Und schaff diesen Körper aus dem Regen. Er ist bereits zu schwach, und es gibt noch viel tun. Zu viel, als dass meine Diener Zeit hätten, zu rasten und zu schwatzen!«
Die letzten Worte kamen voller Boshaftigkeit, und Hedge schrie, als die Finger sich wie Fangeisen in sein Bein bohrten. Dann ließen sie ihn los, und er sank auf den schlammigen Boden.
»Beeil dich«, zischte die Stimme. »Du hast keine Zeit,
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