Das alte Königreich 03 - Abhorsen
verbannt. Sehr schlau!«
»Du hörst dich an, als würdest du ihn bewundern«, sagte Sam ein wenig bitter. »Aber das ist nicht die richtige Einstellung für einen Diener der Abhorsen, Mogget.«
»O ja, ich bewundere den Zerstörer«, erwiderte Mogget verträumt, und seine rosa Zunge leckte die Winkel seines Schnäuzchens. »Aber nur aus sicherer Entfernung. Er hätte keine Skrupel, mich zu vernichten, müsst ihr wissen. Ich leistete damals Widerstand, als er gegen die Sieben aufbegehrte und seine Heerscharen um sich sammelte – vor langer, langer Zeit und vor vielen, längst vergessenen Träumen.«
»Das war das Vernünftigste, was du je gemacht hast«, knurrte die Hündin. »Wenn auch nicht gerade für dich selbst.«
»Für ihn oder gegen ihn«, sagte Mogget, »es gab für mich nichts zu gewinnen. Auch der Mittelweg hat mir am Ende nichts gebracht. Ihr seht ja, was von mir übrig ist. Na, was soll’s. Das Leben geht weiter, der Fluss ist voller Fische, und der Zerstörer ist auf dem Weg nach Ancelstierre in die Freiheit. Ich bin neugierig auf deinen nächsten Plan, Gebieterin Abhorsen-Nachfolgerin.«
»Ich muss das alles erst verdauen«, erwiderte Lirael. Ihr Verstand war nicht mehr fähig, die Gefahren zu erfassen, die mit der Befreiung des Zerstörers der Welt drohten. So drängten sich profanere Dinge in ihre Gedanken – ihre Müdigkeit, ihr Hunger, ihr Abscheu vor ihrem schlammigen, übel riechenden Körper. »Ich muss mich jetzt waschen und etwas essen. Aber ich habe noch eine Frage… nein, zwei. Erstens, kann der Zerstörer etwas ausrichten, wenn er seine beiden Teile in Ancelstierre vereint? Soviel ich weiß, funktionieren weder die Charter noch die Freie Magie auf der anderen Seite der Mauer, oder?«
»Die Magie nimmt ab«, erwiderte Sam. »Ich brächte einen Charterzauber in der Schule fertig, dreißig Meilen südlich der Mauer, aber in Corvere würde gar nichts mehr gehen. Es hängt auch davon ab, ob der Wind aus dem Norden kommt oder nicht.«
»Natürlich ist der Zerstörer selbst eine Quelle der Freien Magie«, sagte die Hündin mit nachdenklich gerunzelter Stirn. »Wenn er wieder vereint und frei wäre, gäbe es keine Grenzen für ihn. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie er sich außerhalb des Königreichs manifestieren würde. Die Mauer allein könnte ihn nicht aufhalten, denn in den Steinen ist nur die Macht von zweien der Sieben, und nur alle zusammen konnten ihn damals besiegen.«
»Das bringt mich zu meiner nächsten Frage«, sagte Lirael müde. »Wisst ihr – oder erinnert ihr euch –, auf welche Weise er von den Sieben zerschlagen und in die Hemisphären gebannt wurde?«
»Ich war nicht mehr frei, wie viele andere auch«, sagte Mogget. »Außerdem bin ich nicht mehr das, was ich vor tausend Jahren gewesen bin, geschweige denn, was ich zu Anfang war.«
»Man könnte sagen, dass ich dabei war«, erklärte die Hündin nach einer langen Pause. »Aber auch ich bin nur noch ein Schatten dessen, was ich einst gewesen bin, und meine deutlichen Erinnerungen stammen allesamt aus einer späteren Zeit. Ich kann deine Frage nicht beantworten.«
Lirael dachte an eine besondere Stelle im
Buch des Erinnerns und Vergessens
und seufzte. Sie hatte den Begriff ›Anfang‹ schon gehört, doch erst jetzt wusste sie, dass er aus dem Buch stammte.
»Ich glaube, ich weiß eine Möglichkeit, es herauszufinden, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde. Doch jetzt will ich mich erst einmal waschen, bevor dieser Schlamm sich durch meine Kleider frisst!«
»Du hast einen Plan?«, fragte Sam hoffnungsvoll. »Ich nehme an, wir müssen verhindern, dass die Hemisphären über die Mauer gelangen…?«
»Ja«, sagte Lirael. »Halte bitte die Augen offen.«
Sie ging vorsichtig zum Flussufer, dankbar, dass es wieder ein für die Jahreszeit viel zu heißer Tag war. Sie hatte überlegt, ob sie sich zwecks gründlichen Waschens ganz ausziehen sollte, hatte sich aber dann dagegen entschieden. Ihre Rüstung war nicht aus Metall und würde nicht rosten. Und sie wollte nicht halb nackt von einem Toten überrascht werden. Außerdem war es heiß und es regnete nicht mehr, so dass sie rasch trocken würde.
Sie legte ihr Schwert griffbereit ans Ufer; den Glockengurt legte sie daneben. Beide mussten ebenfalls gründlich gesäubert werden und der Gurt gewachst. Ihr Waffenrock musste beinahe abgeschabt werden, so sehr klebte er an ihrer Haut. Sie zerrte ihn über den Kopf und warf ihn in einen kleinen Tümpel
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